Homepage (mit Navigationsleiste): www.pdwb.de

Gedanken zum Wirtschaftswachstum




Der eilige Leser mag sich auf einige Bemerkungen zum Wirtschaftswachstum in Deutschland seit 1970 konzentrieren sowie auf eine Tabelle mit Wirtschafts- und anderen Daten zu Deutschland, Japan und den USA (weiter unten auf dieser Seite).

Diese Vergleichstabelle bezieht sich noch auf das Jahr 2001, wie auch einige andere internationale Vergleichsdaten. Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland verfolgen wir auf dieser Webseite bis 2002 (mit gelegentlichen Verweisen auf andere Seiten mit noch jüngeren Daten).
Mehrere website-interne Links weiter unten führen zu tabellarischen Angaben über BIP und Bevölkerung der Europäischen Union, der EU-Beitrittsländer und der größten Volkswirtschaften der Welt. Diese Angaben beziehen sich ebenfalls auf das Jahr 2002 (überwiegend nach Veröffentlichungen der Weltbank vom April 2004).

Wer ganz aktuelle Angaben zum Wirtschaftswachstum in Deutschland sucht, auch im europäischen Vergleich, findet dazu auf einer anderen Seite einige Links zu aktuellen Wachstumsraten.

Zu einer angemessenen Bewertung der wirtschaftlichen Entwicklung reicht jedoch ein oberflächlicher Vergleich kurzfiristiger Indikatoren gewiss nicht aus. Das zeigt beispielsweise die beliebte Phrase von der "schwächelnden" deutschen Wirtschaft, wo doch die heutige Wirtschaftskraft - gemessen am BIP pro Kopf der Bevölkerung (einer Bevölkerung, die in den letzten Jahrzehnten durch millionenfache Zuwanderung aus dem Ausland und durch die Wiedervereinigung enorm zugenommen hat) - real um über 60 Prozent höher ist als 1970 (als jedoch von Massenarbeitslosigkeit keine Rede war).

Einige Textpassagen, vor allem die Vor- und Zwischenbemerkungen, enthalten persönliche, ironisch-kritische Gedanken über die fixe Idee vom stetigen Wirtschaftswachstum, von denen sich der anders gesinnte Leser jedoch nicht vergraulen lassen sollte.


Zunächst ein paar nicht ganz bierernst zu nehmende Vorbemerkungen:

"Eine steigende Wirtschaftsleistung ist ein zentraler Indikator für zunehmenden Wohlstand in der Gesellschaft. Dabei wird nicht verkannt, dass mit wirtschaftlichem Wachstum ein steigender Verbrauch begrenzter Ressourcen und eine zunehmende Umweltbelastung verbunden sein können. Wichtig ist daher, dass die Steigerung der Wirtschaftsleistung umwelt- und sozialverträglich erfolgt.
In diesem Sinne strebt die Bundesregierung eine kontinuierliche, umwelt- und sozialverträgliche Steigerung des Bruttoinlandsproduktes je Einwohner an." (Die Bundesregierung: Perspektiven für Deutschland, Strategie für eine nachhaltige Entwicklung)

"Ja dann wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt.
 Ja, Ja, Ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt."
(Geiersturzflug: Bruttsozialprodukt, Song aus den 80er Jahren, Neue Deutsche Welle: Text und Melodie)

Bei allem Streben nach Höherem (wie z. .B. nach einem höheren Pro-Kopf-BIP) können auch die bodenständigen vier Grundrechenarten nicht schaden, die einen auf folgenden Gedanken bringen können.

Vielleicht wäre die von unserer Bundesregierung angestrebte umwelt- und sozialverträgliche Steigerung des BIP je Einwohner am einfachsten dadurch zu erreichen, dass man der rückläufigen natürlichen Bevölkerungsentwicklung in Deutschland ihren Lauf lässt, sodass die in den vergangenen Jahrzehnten fast ständig gestiegene Anzahl der Einwohner wieder etwas zurückgehen kann - umwelt- und sozialverträglich.

Eine dadurch bewirkte, mathematisch leicht beweisbare Steigerung des Pro-Kopf-BIP müsste zumindest theoretisch sogar bei einem Rückgang des Gesamt-BIP funktionieren - und siehe da, Ostdeutschland hat das auch schon praktisch vorgemacht (siehe Tabelle). Der Trick bei diesem Verfahren ist einfach, dass die Bevölkerung noch stärker zurückgeht als die Wirtschaft.

Dann hätte auch die OECD (die 30 Mitgliedstaaten umfassende Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) weniger Grund, im Hinblick auf Deutschland den "starken Druck auf die Umwelt infolge der hohen Bevölkerungsdichte und Industrialisierung" zu beklagen. Zwar werden Fortschritte im Umweltsschutz attestiert und sein hoher politischer Stellenwert in Deutschland gewürdigt, aber auch mit aller Deutlichkeit festgestellt, "dass die hohe Bevölkerungsdichte und die intensive wirtschaftliche Betätigung nach wie vor derart starke Belastungen zur Folge haben, dass sich die Natur nicht behaupten kann" (dankenswerterweise online nachzulesen beim Bundesumweltministerium im OECD-Umweltprüfbericht der Arbeitsgruppe Umweltbilanz vom November 2000).

Der logischte und konsequenteste Weg, dieses Problem zu lösen, wäre doch wohl, uns bevölkerungsgeographisch auszudünnen - und uns weniger intensiv wirtschaftlich zu betätigen. (Das hat allerdings nicht OECD gesagt, der diese Schlussfolgerung doch etwas zu stringent sein dürfte, und ich möchte deswegen auch keinen Ärger kriegen.)

Wer aber wie unsere nachhaltigen Strategen in Berlin mit ungebrochener Zuversicht nach einer kontinuierlichen Steigerung des Bruttoinlandsprodukts je Einwohner strebt - womöglich (dank Zuwanderung) bei weiter ansteigender Einwohnerzahl - natürlich alles ganz umwelt- und sozialverträglich, scheut offenbar keine Herausforderung. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen - [und viele Wähler fangen sich in seinen Schlingen]. Vielleicht werden wir auch noch erleben, wie unsere rot-grüne Bundesregierung das Bruttoinlandsprodukt mit dem Blauen Umweltengel auszeichnet.


Aber Politik ist kein leichtes Geschäft und Umweltschutz ist hier nicht das Thema, und ich möchte wie gesagt auch niemanden mit spöttischen Bemerkungen vergraulen, sondern vor allem Daten und Fakten vorlegen, wobei ich mir allerdings eine etwas querdenkerische Sicht der Dinge und - vom unaufhörlichen Trommelfeuer der Wachstumsparolen genervt - gelegentlich einen leichten Sarkasmus herausnehme. Letztlich muss aber der Leser selbst entscheiden, ob er unbeirrt in die Ode an das Wachstum mit einstimmen will oder nicht.

Auf einem anderen Blatt stehen die zu Recht beklagte übertriebene Kaufzurückhaltung verängstigter Konsumenten, die das Vertrauen in Politik und Wirtschaft verloren haben, und der durch eine chronische Finanzknappheit des Staates bedingte Rückgang eigentlich notwendiger öffentlicher Investitionen und Unterhaltungsmaßnahmen, wodurch der Wirtschaft viele Aufträge entgehen.

Mit dem Streben nach Wirtschaftswachstum werden auch andere durchaus ehrenwerte Ziele verbunden wie Abbau der Massenarbeitslosigkeit und Konsolidierung der Sozialsysteme - sehr ernst zu nehmende Fragen, die jedoch nach Meinung des Autors ganz anders angegangen werden müssten. (Im einem Anhang wird noch kurz darauf eingegangen.) Wer dennoch unter solchen Zielsetzungen für mehr Wirtschaftswachstum eintritt, sollte sich daher nicht zu sehr auf den Schlips getreten fühlen.

Im Übrigen ist ja auch gegen etwas mehr "umwelt- und sozialverträgliches" Wachstum grundsätzlich nichts einzuwenden, aber das lässt sich nun mal nicht übers Knie brechen und es nützt überhaupt nichts, es ständig wie eine Beschwörungsformel im Munde zu führen.


So trübe die wirtschaftliche Lage derzeit auf den ersten Blick ausschaut, es ist nicht gerechtfertigt, dauernd vom Schlusslicht Deutschland zu reden. Ein gewisses Auf und Ab der Wachstumsraten (siehe auch Diagramme zur wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland) gab es schon immer und gelegentlich auch einen Rückgang des BIP gegenüber dem Vorjahr, so im Jahre 1993 mit 1,1 %.

Gleichwohl ist das heutige deutsche Pro-Kopf-BIP im weltweiten Vergleich, wenn man nicht gerade die USA zum Maßstab nimmt, sehr beachtlich. Das gilt zwar nicht für Ostdeutschland, aber umso mehr für den Westen. Auf Basis von Weltbankzahlen berechnet, liegt das Pro-Kopf-BIP 2001 [nach Kaufkraftparität] in Ostdeutschland fast 26 % unter dem Durchschnitt der Europäischen Union, in Westdeutschland aber ca. 13 % darüber. Selbst der deutsche Gesamt-Duchschnitt liegt noch ein paar Prozent darüber - zumindest nach den Weltbank-Zahlen um rund 5 %, wie gesagt 2001.

Nach anderen Quellen fällt der (gesamt)deutsche Vorsprung nicht so mehr deutlich aus, und er kann auch in Zukunft ganz verloren gehen, aber dazu komme ich noch. Im Übrigen können sich solche statistischen Angaben aufgrund von methodischen Umstellungen und Nachberechnungen auch rückwirkend ändern, so dass man bei diesen internationalen Vergleichen immer etwas vorsichtig sein und die Zahlen nicht übertrieben genau nehmen sollte.

Von dem hohen (west-)deutschen Pro-Kopf-BIP spricht kaum jemand. Dass in der wirtschaftspolitischen Diskussion fast immer nur die gegenwärtige Wachstumsrate zum Vergleich herangezogen wird, ohne das erreichte Niveau zu beachten, ist einfach inakzeptabel und unwissenschaftlich.

Auch der Langzeitvergleich auf nationaler Ebene ist eindrucksvoll: Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner (ob erwerbstätig, arbeitslos, Rentner, unterhaltenes Familienmitglied oder was auch immer) ist im wieder vereinigten Deutschland des Jahres 2002 (wenn man Zahlen des Statistischen Bundesamtes zugrunde legt) real um gut 62 % höher als in der alten Bundesrepublik des Jahres 1970.

Man versetze sich einmal in die frühen 70er Jahre der alten Bundesrepublik zurück und stelle sich vor, irgendjemand hätte Folgendes über die zukünftige BRD (von 2002) prophezeit:
[1.] wieder vereinigt mit der DDR,
[2.] darüber hinaus (durch Zuwanderung) um eine Bevölkerung von der Größe Norwegens gewachsen,
[3.] dabei die Güter- und Dienstleistungsproduktion um über 60 % pro Einwohner gesteigert habend
und
[4.] nichtsdestotrotz ständig über "schwächelnde Wirtschaft" und "Schlusslicht" und "Teufelskreis" und "rote Laterne" usw. lamentierend.

Vielleicht "schwächelt" es heutzutage auch nur ein bisschen bei uns im Kopf -
oder wir sind bzw. werden nicht ausreichend informiert (wem auch immer man das anlasten soll).

Solche Informationen sind jedoch vorhanden und gar nicht schwer zugänglich. Man betrachte einmal die folgenden Zahlen von 1970 und 2002 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes und des Arbeitskreises "Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder":

          Einwohner gegen Mitte des Jahres:
1970: 60,7 Mio. in der alten BRD (mit West-Berlin) und 17,1 Mio. in der DDR, zus. 77,7 Mio.
2002: 82,5 Mio. in Deutschland (Westdeutschland: 65,4 Mio., Ostdeutschland: 17,1 Mio.)
           - In der Einwohnerzahl Ostdeutschlands ist ganz Berlin mit 3,4 Mio. enthalten. -

          Gesamt-BIP in konstanten Preisen von 1995 (Berechnungsstand Februar 2003):
1970:    897,0 Milliarden Euro in der alten BRD
2002: 1.984,3 Mrd. Euro in Deutschland (West-D.: 1.692,2 Mrd. €, Ost-D.: 292,1 Mrd. €)
           - In der Angabe für Ostdeutschland ist ganz Berlin mit 72,6 Mrd. € enthalten. -

          Pro-Kopf-BIP in konstanten Preisen von 1995 (Berechnungsstand Februar 2003):
1970: 14.800 Euro in der alten BRD
2002: 24.059 Euro in Deutschland (Westdeutschland: 25.870 €, Ostdeutschland: 17.120 €)            - in ganz Berlin 21.406 € und im übrigen Ost-Deutschland 16.057 € -

Das Wirtschaftsergebnis, auch wenn es nach dem Jahr 2000 nur noch wenig gesteigert wurde, ist doch gar nicht so schlecht. Das bundesdeutsche BIP war jedenfalls noch nie so hoch wie 2002, und das BIP innerhalb des früheren Bundesgebiets mit West-Berlin ist nur noch wenige Prozent von einer Verdoppelung seit 1970 entfernt.

Und das gesamtdeutsche BIP pro Kopf, das sich im internationalen Vergleich sehen lassen kann, ist, wie die folgenden Zahlen belegen, schon wieder etwas höher als das des früheren Bundesgebietes im Jahr der Wiedervereinigung (3.10.1990) und kaum niedriger als 1991 (Abschlussjahr einer statistischen Zeitreihe für das frühere Bundesgebiet):

          Pro-Kopf-BIP in konstanten Preisen von 1995 (Berechnungsstand Februar 2003):
1989: 22.500 Euro im früheren Bundesgebiet (einschl. West-Berlin)
1990: 23.400 Euro im früheren Bundesgebiet (einschl. West-Berlin)
1991: 24.300 Euro im früheren Bundesgebiet (einschl. West-Berlin)
1991: 21.389 Euro in Deutschland (Westdeutschland: 24.153 €, Ostdeutschland: 11.920 €)
2002: 24.059 Euro in Deutschland (Westdeutschland: 25.870 €, Ostdeutschland: 17.120 €)

Problematisch ist nur die interne, immer noch große Ost-West-Disparität, wenngleich sogar das relativ niedrige Pro-Kopf-BIP Ostdeutschlands trotz der dortigen hohen Arbeitslosigkeit schon deutlich höher ist als das Pro-Kopf-BIP der alten BRD von 1970, die weit entfernt war von der heutigen Massenarbeitslosigkeit. (Pro-Kopf-BIP 1970 wie bereits weiter oben angegeben 14.800 € in konstanten Preisen von 1995).

Probleme wie Arbeitslosigkeit und zu hohe Sozialausgaben sind nicht zu leugen, auch nicht die (wettbewerbsbedingten) Insolvenzen - aber "schwächelnde" (Gesamt-)Wirtschaft? Nein, 2002 ist - trotz schwachen Wachstums - ein "Rekordjahr" gewesen. Und noch etwas provokanter formuliert: Wenn wir 2003 nur null Prozent reales Wachstum bekommen sollten, bedeutet das immerhin, dass es gelungen ist, das Rekordergebnis von 2002 zu wiederholen.


Starker Tobak? Mag sein, aber die Auffassung, dass die Wiederholung eines Vorjahresergebnisses - selbst wenn es ein Spitzenergebnis war - einer Katastrophe gleichkommt, findet man wohl nur in der Wirtschaft - und ihrer Wissenschaft bzw. den Wirtschaftswissenschaften, die sich ihrem Credo entsprechend vielleicht zutreffender als "Wirtschaftswachstumswissenschaften" bezeichnen sollten.

Wie aber käme uns ein Bauer vor, der, nachdem er zum zweiten Mal hintereinander eine Rekordernte eingefahren hat, wehklagend durchs Dorf läuft und sich darüber beschwert, dass es auf seinen Feldern überhaupt kein Wachstum gegeben habe?


Möglicherweise wird der eine oder andere auch den Eindruck haben, dass die Steigerung des deutschen BIP in der Vergangenheit an ihm persönlich weitgehend vorbeigegangen ist. Dazu ist mit den Worten von Eurostat, dem Statistikamt der Europäischen Union, nur zu bemerken:

"Das BIP und damit auch das BIP pro Kopf sind Indikatoren für die Produktionstätigkeit in einem Land oder einer Region und sind deshalb zur Messung und zum Vergleich des wirtschaftlichen Entwicklungsstandes von Ländern bzw. Regionen geeignet. Dabei ist zu beachten, daß das BIP nicht mit dem Einkommen übereinstimmt, das den in einem Land oder einer Region lebenden privaten Haushalten letztlich zur Verfügung steht. Aussagen der Art, daß die Bevölkerung der Region A reicher als die Bevölkerung der Region B ist, sind also auf der Basis des BIP bzw. BIP pro Kopf unzulässig."

Der Wohlstand der breiten Bevölkerung ist also auch eine Frage der Verteilung. Vom Wachstum profitieren nicht alle im gleichen Maße - und vermutlich nicht die am geringsten, die am lautesten danach schreien. Doch ist sicherlich auch der Wohlstand der großen Bevölkerungsmehrheit seit 1970 noch erheblich gestiegen.

Dass wir uns - wie immer behauptet wird - aus wirtschaftlichen Gründen vieles nicht mehr leisten können, was wir uns bisher leisten konnten, obwohl doch die gesamtwirtschaftliche Leistung (je Einwohner) nicht geringer geworden ist, sollte bitte mal einer erklären.

Zwischenbemerkungen: Den Gürtel enger schnallen?


Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass manche Länder ihren Pro-Kopf-BIP-Rückstand gegenüber Deutschland nicht nur aufholen, sondern "uns" sogar überholen werden - Länder, die noch nicht durch einen so "starken Druck auf die Umwelt infolge der hohen Bevölkerungsdichte und Industrialisierung" (siehe OECD-Zitat in den obigen Vorbemerkungen) gezeichnet sind. Dies ist nicht nur eine Frage der Ökologie, sondern auch der geographischen Rahmenbedingen für weitere wirtschaftliche Expansion. Das will wahrscheinlich keiner hören, aber es gibt auch noch andere Standortvor- oder -nachteile als die viel diskutierte Höhe der Löhne, Steuern und Sozialabgaben.

Ich weise daher immer wieder auf das wenig beachtete BIP pro Quadratkilometer hin (das zum Beispiel in unserem Nachbarland Frankreich kaum halb so hoch ist wie in Deutschland, ebenso wie die Anzahl der Einwohner je Quadratkilometer).

In diesem Zusammenhang drei (etwas jüngere) Seiten auf dieser Website:

Beim Pro-Kopf-BIP schon weit an Deutschland vorbeigeprescht ist Irland, das von der EU sehr gefördert wurde - ein Land mit kräftigem Bevölkerungswachstum, das allerdings (für europäische Verhältnisse) dünn besiedelt ist. Auch das BIP pro Quadratkilometer liegt ganz erheblich unter dem Durchschnitt der EU. Für den Wirtschaftsboom der grünen Inselrepublik, deren Gesamtbevölkerung nicht allzu viel größer ist als die von Berlin, gibt es sicherlich verschiedene Ursachen, und Irland ist auch ein ganz untypisches Beispiel, auf das wir hier nicht lange eingehen wollen.

Manche sehen den Erfolg des "keltischen Tigers" auch sehr kritisch und meinen: reiche Wirtschaft, arme Iren. Das soll hier dahingestellt bleiben, aber zumindest ein ungewöhnlich deutlicher Unterschied zwischen dem extrem hohen Pro-Kopf-BIP und dem niedrigeren Pro-Kopf-BNE (Brutttonationaleinkommen je Einwohner) lässt sich auch anhand von Weltbankzahlen gut belegen - siehe dazu auf der letzten der o. a. Seiten: BIP 2002 der größten Volkswirtschaften, unten. (Berücksichtigt man dabei die Größe der Gesamtwirtschaft und der Gesamtbevölkerung, so ist der keltische Tiger auch wohl mehr eine europäische Wildkatze, allerdings eine ganz schön wilde.)

Eine (archivierte) Tabelle der Weltbank aus neuerer Zeit enthält Angaben zum Bruttonationaleinkommen pro Kopf (2002) in Form eines globalen Ranking.

Man achte dabei vor allem auf das GNI per capita, purchasing power parity, also das Pro-Kopf-BNE nach Kaufkraftparitäten. Wie bei allen Vergleichen dieser Art sollte man dabei nicht nur auf den Tabellenplatz schauen, sondern auch die Abstände zwischen den Ländern beachten, die teilweise sehr dicht beisammen liegen. Zu beachten ist auch, dass hier sehr große und sehr kleine Staaten miteinander verglichen werden, die nicht selten nur die Größe deutscher Bundesländer haben, zwischen denen auch beträchtliche wirtschaftliche Unterschiede bestehen.

Auf das Bruttonationaleinkommen wollen wir hier jedoch nicht weiter eingehen, sondern orientieren uns nun wieder am Bruttoinlandsprodukt, auf das sich das Wirtschaftswachstum bezieht. Beim EU-Statistikamt Eurostat finden Sie aktuelle Angaben zur Entwicklung des BIP pro Kopf (in Kaufkraftstandards) der EU-Staaten und einiger anderer Länder. - (Gewisse Abweichungen von entsprechenden Angaben anderer Quellen wie der Weltbank sind normal. Die EU-Webseite enthält auch eine kurze Definition des Pro-Kopf-BIP in KKS.)


Dem Wunsch nach stärkerem wirtschaftlichen Wachstum speziell in Ostdeutschland kann man sich allerdings - auch als grundsätzlicher Wachstumsskeptiker - schwerlich verschließen. Aber wie viel Wachstum würde Ostdeutschland theoretisch benötigen, um auf das Niveau des Westens zu kommen? Wie groß ist sozusagen der ostdeutsche Nachholbedarf?

Ein einfacher, aber wichtiger Indikator dafür ist das Pro-Kopf-BIP, das 2002 in jeweiligen Preisen in Westdeutschland 27.481 € und in Ostdeutschland 18.205 € betrug (Berechnungsstand Februar 2003, siehe Tabelle). Die Differenz von 9.276 €, multipliziert mit der Anzahl der Einwohner Ostdeutschlands, 17,063 Millionen am 30.06.2002, ergibt 158,276 Milliarden €. Das sind 51,0 % vom BIP 2002 Ostdeutschlands (310,634 Mrd. €) - gewiss nicht wenig -, allerdings nur 7,5 % vom BIP Gesamtdeutschlands (2.108,2 Mrd. €) - mehr nicht.

Gegenprobe: 2.108,2 Milliarden € plus 7,5 % dividiert durch 82,474 Millionen Einwohner gleich etwa 27.480 Euro pro Einwohner - so viel wie das heutige hohe (noch deutlich über dem EU-Durchschnitt liegende) Pro-Kopf-BIP Westdeutschlands. Um also die Wirtschaftskraft der beiden Landesteile anzugleichen, wäre keine allzu gigantische Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Leistung Deutschlands mehr erforderlich, wohl aber - leicht gesagt - eine "Platzierung an der richtigen Stelle".

Undifferenziert mehr Wachstum für ganz Deutschland zu fordern, ohne der Angleichung von Ost und West hohe Priorität einzuräumen und ohne dabei das hohe Niveau des Westens zu würdigen und für diesen Landesteil die Wachstumsforderungen oder -wünsche zu mäßigen, ist also nicht besonders weise.


Die Entwicklung der letzten Jahre ist in diesem Sinne ein bisschen "dumm gelaufen". Besser wäre es gewesen - hoffentlich trifft jetzt niemanden der Schlag -, der Westen hätte weniger Wachstum gehabt (noch weniger) und der Osten entsprechend mehr. Das hätte den "Wessis" viel West-Ost-Finanztransfer und den "Ossis" viel Ost-West-Binnenmigration ersparen können.

Tatsächlich ist die Entwicklung in dem 11-jährigen Zeitraum von Ende 1991 bis Ende 2002 wie folgt verlaufen: Das BIP der westlichen Bundesländer, diesmal in konstanten Preisen des Jahres 1995 angegeben, stieg um 13,2 % (rund 197 Mrd. €), das der östlichen Länder einschließlich Berlin um 35,6 % (rund 77 Mrd. €), bei anfänglich hohen Raten, aber rückläufiger Entwicklung in den letzten beiden Jahren (berechnet nach Angaben des Arbeitskreises Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder, Berechnungsstand Februar 2003, siehe auch Tabelle an anderer Stelle auf dieser Website).

Pro Kopf ist das ostdeutsche BIP allerdings in den letzten Jahren ein wenig gestiegen, weil die ostdeutsche Bevölkerung stärker abgenommen hat als das ostdeutsche BIP. In Westdeutschland dagegen hat das Pro-Kopf-BIP 2002 ganz leicht abgenommen, weil das Bevölkerungswachstum dort stärker war als der leichte Anstieg des BIP.


Wenn man wieder einmal das Schlusslicht-Gespenst umgehen lässt in Deutschland, wird in aller Regel diskret hinweggesehen über die vor noch gar nicht so langer Zeit so hoch gerühmte Weltwirtschaftslokomotive Japan.

Es folgt ein Säulendiagramm mit der realen Entwicklung des japanischen Gesamt-BIP seit 1980 (Anfangsjahr einer Zeitreihe des japanischen Statistikamtes in konstanten Preisen von 1995 aus dem Statistischen Jahrbuch 2003):






80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
00

 
00
 
10


Nach einem exorbitanten Wachstum in der 80er Jahren kam es zu einer signifikanten Abflachung seit den frühen 90er Jahren. In beiden Jahrzehnten zusammen, zwischen Ende 1980 und Ende 2000, betrug die BIP-Zunahme 71,9 Prozent, allerdings 49,4 % in der ersten und nur 15,1 % in der zweiten Hälfte dieses Zeitraums.

Um einen Vergleich mit der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands in den letzten beiden Jahrzehnten zu ziehen, muss der Zeitraum (aus Anpassungsgründen nach der Wiedervereinigung am 3.10.1990) etwas anders eingeteilt werden. Der Zuwachs im früheren Bundesgebiet in den elf Jahren von Ende 1980 bis Ende 1991 betrug 31,9 % (Japan: 54,0 %) und in den neun Jahren von Ende 1991 bis Ende 2000 in ganz Deutschland 15,1 % (Japan: 11,6 %).

Nach verbreiteter Auffassung hinkt Japan in einer Dauerkrise wirtschaftlich hinterher, aber vielleicht haben die strebsamen Japaner (die bekanntlich so lange arbeiten und so wenig Urlaub machen usw.) einfach nur allmählich das Ende der Wachstums-Fahnenstange erreicht - denn "nichts ist unmöööööglich" (eine Erkenntins, die wir der Toyota-Werbung verdanken).

Allerdings betrug die Steigerung des BIP im Jahr 2000 nach den Angaben im japanischen Statistischen Jahrbuch 2003 immerhin 2,4 %. Warten wir ab, wie es weitergeht.

Rechts vom Diagramm ist durch zwei einzelne Säulen angedeutet, wie groß das japanische BIP 2000 und 2010 wäre bzw. werden würde, wenn das Wachstum im vorigen und im gegenwärtigen Jahrzehnt genauso hoch gewesen wäre bzw. noch sein würde wie zwischen 1980 und 1990 (49,4 %). Das BIP hätte dann im Jahr 2000 schon das 2,2fache von 1980 erreicht und würde bis 2010 auf das 3,3fache (von 1980) steigen.

Das aber wäre wohl etwas viel verlangt für den gebirgigen, rohstoffarmen Inselbogen. Man muss die Sache auch einmal unter geographischen Gesichtspunkten sehen und dabei auch die Bevölkerungsdichte berücksichtigen und regionale Spitzenwerte beachten. Der Ballungsraum Tokio-Yokohama gilt als der größte unter den large international urban areas, mit großem Abstand vor New York und anderen. Es wird berichtet, dass die Grundstückspreise in Tokio zeitweilig schon ein so irrwitziges Niveau erreicht hatten, dass allein das Gebiet der japanischen Hauptstadt so viel "wert" war wie die gesamte Fläche der Vereinigten Staaten von Amerika.

Die Kanto-Region mit über 40 Millionen Einwohnern, die flächenmäßig mit einem deutschen Bundesland oder einem der kleineren US-Bundesstaaten zu vergleichen ist, repräsentiert - gemessen am Bruttoinlandsprodukt - etwa ein Drittel der japanischen Wirtschaft und 2½ Prozent der gesamten Weltwirtschaft.

(Wer mag, kann ja mal das Bruttoinlandsprodukt von Kanto mit Hilfe des japanischen Statistischen Jahrbuchs auf den Quadratkilometer umrechnen und international vergleichen, eventuell unter Zuhilfenahme der Quick Reference Tables der Weltbank mit Angaben zum PPP GDP, also zum BIP nach Kaufkraftparität).

Japan hat auch nicht mehr das hohe Bevölkerungswachstum wie in der Vergangenheit. Es ist zu erwarten, dass die Einwohnerzahl des äußerst dicht bevölkerten Landes schon in naher Zukunft abnehmen wird. Wie sich diese Bevölkerungsentwicklung wohl auf das gesamtwirtschaftliche Ergebnis auswirken wird? Zugleich haben die Japaner unter allen Nationen die höchste Lebenserwartung. So wird es auch zu einer besonders starken Alterung der Gesellschaft kommen. Deutschland ist also mit derartigen Problemen nicht allein.


Ganz anders sind die wirtschaftsgeographischen Rahmenbedingungen und die demographische Entwicklung in den USA - ganz wesentliche, aber anscheinend wenig beachtete Faktoren der starken amerikanischen Wirtschaftsdynamik (langfristig betrachtet).

Zur demographischen Entwicklung sei hier nur auf die (natürliche und migrationsbedingte) Bevölkerungszunahme zwischen den Volkszählungen von 1990 und 2000 hingewiesen. Allein in diesen zehn Jahren betrug das Bevölkerungswachstum 13,2 % = 32,7 Millionen. Das ist etwas mehr als die G7-Nation Kanada insgesamt an Einwohnern hat und entspricht fast 40 % der heutigen Einwohner Deutschlands!

Angesichts solcher Zahlen sollte man sehr zurückhaltend sein mit oberflächlichen Parallelen zur wirtschaftlichen Entwicklung hierzulande (nach der Art: "Die Amerikaner machen uns vor, wie’s geht."). An den riesigen USA können sich Länder wie Deutschland oder gar Japan nicht so ohne weiteres messen.

Und wehe, wenn die USA bei ihrem Bevölkerungswachstum nicht auch so ein starkes Wirtschaftswachstum (und den dazu nötigen Kapitalzufluss aus dem Ausland) hätten. Wenn man sich allerdings vorstellt, die US-Wirtschaft würde, wie in dem nebenstehenden Diagramm dargestellt, in den kommenden Jahrzehnten (prozentual) so weiterwachsen wie in den letzten Jahrzehnten, kann man auch ganz schön ins Grübeln kommen und mag sich fragen, ob nach Japan und Deutschland nicht vielleicht auch die amerikanische Superlokomotive schon in nicht allzu ferner Zukunft sehr viel weniger Dampf machen wird (denn auch der Ressourcenreichtum der USA ist nicht unerschöpflich und mit der Größe der Wirtschaft und ihren globalen Interessen könnten auch die weltpolitischen Verwicklungen der USA weiter zunehmen - mit unabsehbaren negativen Rückwirkungen auf die Wirtschaft).
      
70
   
80
   
90
   
00
   
10
   
20
   
30
   
40
   
50


In dem Beitrag BIP USA - Deutschland im Vergleich / Wirtschaftswachstum der USA sind zu der im Diagramm dargestellten - rein hypothetischen - Entwicklung zwischen 2000 und 2050 entsprechende Zahlen angegeben. (Das US-BIP 2050 wäre dann etwa so groß wie das gesamte Weltprodukt 2000.) Als ebenfalls hypothetische Alternative wird dort ein wesentlich schwächerer, linearer Wachstumsverlauf durchgespielt, der aber auch das US-BIP bis 2050 noch mehr als verdoppeln und pro Jahrzehnt einen Zuwachs bedeuten würde, der größer ist als das gesamte heutige BIP Deutschlands.

Aber bleiben wir in der Realität. Von 1970 bis 2000 ist das BIP der USA pro Jahrzehnt um fast exakt 37 % gestiegen. Hier die genaueren Angaben im Vergleich mit Deutschland (wobei auch die oben angegebenen Zahlen für Japan noch einmal aufgeführt sind):

Der Zuwachs in den zehn Jahren von Ende 1970 bis Ende 1980 betrug in den USA 37,0 % und im früheren Bundesgebiet 31,4 % - in den elf Jahren von Ende 1980 bis Ende 1991 in den USA 36,2 %, im früheren Bundesgebiet 31,9 % (Japan 54,0 %) - und in den neun Jahren von Ende 1991 bis Ende 2000 in den USA 37,7 %, in Deutschland 15,1 % (Japan 11,6 %).

Der Vollständigkeit halber hier noch die zugrunde liegenden Werte nach Angaben des amerikanischen Bureau of Economic Analysis (www.bea.gov), des japanischen Statistics Bureau (www.stat.go.jp) und des Statistischen Bundesamtes (www.destatis.de) im tabellarischen Überblick:

  1970 1980 1990 1991 2000  
 früheres Bundesgebiet 897,0 1.178,7 1.479,6 1.555,0    Mrd. € in konst. Preisen von 1995
 wieder vereinigtes Deutschland       1.710,8 1.969,5
 Vereinigte Staaten 3.578,0 4.900,9 6.707,9 6.676,4 9.191,4  Mrd. chained 1996 $
 Japan   310.720    464.133    478.606    534.148     Mrd. Yen in konst. Preisen von 1995

Hinweis: Die in der Tabelle enthaltenen Angaben, die auch den obigen Säulendiagrammen zugrunde liegen und auf Veröffentlichungen im Jahr 2003 beruhen, können bereits von den Statistikämtern rückwirkend aktualisiert worden sein. Ziehen Sie im Bedarfsfall die Originalquellen heran.
(Bei ausländichen Statistikämtern wie dem japanischen finden Sie in aller Regel über einen Link oder ein Icon auf der Homepage leichten Zugang zu Webseiten in englischer Sprache.)


Und nun eine weitere Vergleichstabelle mit verschiedenen Grunddaten (größtenteils nach Angaben bzw. auf Basis von Angaben der Weltbank). Man beachte dabei insbesondere die Bevölkerungsdichte und das BIP pro Quadratkilometer. Die Unterschiede sollen hier nicht weiter kommentiert werden, sondern für sich sprechen. Die eingebetteten Links zum Wirtschaftswachstum in der ersten Spalte beziehen sich auf Originaldaten der nationalen Statistikämter.

Neben Gesamt- und Durchschnittswerten für die Welt, die USA, Japan und Deutschland enthält die Tabelle auch ein ganz außergewöhnliches Vergleichsgebiet innerhalb der USA (mit Angaben aus verschiedenen Quellen und nach eigenen Berechnungen), bestehend aus acht Bundesstaaten im Nordosten (u. a. New York) sowie Washington D.C., mit etwa 20 % der US-Bevölkerung, aber kaum 4 % des Staatsgebietes, eine Fläche, die ziemlich genau der Größe Deutschlands oder Japans entspricht.


 Land BIP 2001
(US-Dollar)
BIP 2001
(international
dollars)
Einwohner,
Fläche,
Bev.-Dichte
Pro-Kopf-BIP
(international
dollars)
BIP pro km²
(international
dollars)
 Welt  31.121.436 Mio.  45.619.285 Mio.  6.130.101 Tsd.
133.805.000 km² 
46 Einw. je km² 
7.440  0,3 Mio.
 USA
 - Wachstum %
 - Wachstum $  
 10.065.265 Mio.
 [s. Anmerkung] 
 9.792.473 Mio. 285.318 Tsd.
9.629.090 km² 
30 Einw. je km² 
34.320  1,0 Mio.
 Japan
 - Wachstum
 4.141.431 Mio.  3.193.005 Mio. 127.035 Tsd.
377.800 km² 
336 Einw. je km² 
25.130  8,5 Mio.
 Deutschland
 - Wachstum
 
 1.846.069 Mio.  2.086.828 Mio. 82.333 Tsd.
357.030 km² 
231 Einw. je km² 
25.350  5,8 Mio.
 Teilgebiet
 der USA
 im NO
 (4 % d. Fläche)
[BEA:]  2.391.130 Mio.
(ca. 23,6 % des US-BIP)
 ca. 2.310.000 Mio. 57.389 Tsd.
367.420 km² 
156 Einw. je km² 
ca. 40.250  ca. 6,3 Mio.


Anmerkungen:
Vom BEA wird das nominale Gesamt-BIP 2001 der USA mit 10.082,2 Milliarden und an anderer Stelle (Gross State Product Data) mit 10.137.190 Millionen (current) US-dollars angegeben (Veröffentlichungsstand Mai 2003). Die Divergenzen liegen weit unter einem Prozent und können hier auf sich beruhen bleiben.
Falls die eingebetteten Links zum Wachstum in den USA und Japan (EXCEL-Tabellen) nicht mehr aktuell sind und zu einer Fehlermeldung des Browsers führen, suchen Sie unter www.bea.gov bzw. www.stat.go.jp. (Der o. a. Link zum Wachstum Japans bezieht sich auf Monthly Statistics of Japan, National Accounts > Gross Domestic Expenditure. Vgl. auch Statistical Yearbook, National Accounts > Gross Domestic Expenditure.)

Unter Zuhilfenahme von Angaben des Arbeitskreises Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder (vgl. auch Tabelle) lässt sich für Westdeutschland (65.166 Tsd. Einwohner [ø 2001] auf rd. 248.450 km²) ein Pro-Kopf-BIP von 27.290 international dollars und ein BIP pro Quadratkilometer von 7,2 Mio. international dollars errechnen. Dabei beträgt die westdeutsche Bevölkerungsdichte 262 Einwohner je Quadratkilometer (siehe auch aktuelle Ländertabelle der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder mit Angaben zur Fläche und Bevölkerung der einzelnen Bundesländer. Auch zum Anteil der Bundesländer am Gesamt-BIP Deutschlands in jeweiligen Preisen existiert eine solche Übersichtstabelle).

Auch innerhalb Westdeutschlands gibt es beträchtliche Unterschiede. Dabei lohnt sich vor allem ein Blick auf das größte Bundesland: Nordrhein-Westfalen (an anderer Stelle auf dieser Website. Dort wird auch kurz auf das BIP der oben erwähnten japanischen Kanto-Region eingegangen.)


Zur wirtschaftlichen Entwicklung bemerkt das Statistische Bundesamt (in einer Pressemitteilung vom 18.07.2002): "Das Wirtschaftswachstum im früheren Bundesgebiet sowie seit 1991 in Deutschland hat sich - gemessen an der Veränderung des Bruttoinlandsprodukts in Preisen von 1995 - seit 1970 kontinuierlich abgeschwächt. Betrug die durchschnittliche jährliche Veränderung von 1970 bis 1980 noch 2,8 %, so lag sie von 1980 bis 1991 bei 2,6 % und von 1991 bis 2001 bei 1,5 %." (Hinter diesen Durchschnittswerten stehen allerdings wie gesagt erhebliche jährliche Schwankungen, wie ein Diagramm noch einmal verdeutlicht.)

Wenn man die politische Diskussion verfolgt, so gelten Wachstumsraten wie in den 70er Jahren anscheinend auch für die heutige Zeit als gesund und eigentlich normal. (Unser Land müsse aus dem Teufelskreis heraus, in dem es sich seit zwei Jahrzehnten befinde, heißt es beispielsweise auch vonseiten der Bundesregierung.) Nehmen wir einmal an, es wäre im Jahr 2001 gelungen, dauerhaft an dieses frühere Wachstum anzuknüpfen (in Wirklichkeit betrug die Rate in dem Jahr nur 0,6 %, im Jahr davor aber tatsächlich 2,9 % nach dem Berechnungsstand vom Februar 2003 - zu späteren Aktualisierungen siehe Tabellen).

Eine Rate wie in der Zeit von 1970 bis 1980, von durchschnittlich 2,8 % pro Jahr (also exponentielles Wachstum, dessen mathematische Eigenart schon in den 70er Jahren vom Club of Rome thematisiert wurde) ergäbe bereits in 25 Jahren eine Verdoppelung. Bis 2050 würde dann sogar eine Vervierfachung des BIP erreicht sein.

Für ein so hoch industrialisiertes und dicht bevölkertes Land muss das aber schon aus wirtschaftsgeographischen Gründen reichlich utopisch erscheinen, und daher ist doch eigentlich gar nichts anderes zu erwarten als eine deutliche Abnahme der prozentualen BIP-Zuwächse, zumal wenn die wirtschaftliche Entwicklung auch umweltpolitischen Restriktionen unterworfen ist. Zwar muss keineswegs alles, was mit Wirtschaft zu tun hat, proportional zum BIP wachsen, aber irgendwie muss sich das Wachstum ja in einem adäquaten Anstieg physikalischer Größen, Mengen und Prozesse manifestieren, sonst verdiente es nicht das Attribut "real".


Für Deutschland erscheint selbst lineares Wirtschaftswachstum mit langfristig konstanten Zuwächsen (im Unterschied zu exponentiellem Wachstum) nicht unproblematisch, wie die nächste Tabelle zeigen soll. Dabei wird rein hypothetisch davon ausgegangen, dass ab dem ersten Jahr des Berechnungszeitraums ein Ausgangswert in Höhe von 100 linear um 2,8 pro Jahr zunimmt. Für das erste Jahr beträgt die Zunahme nach dieser Annahme zugleich 2,8 Prozent, eine Dynamik wie in den 70er Jahren (s. o.). Im weiteren Verlauf aber soll der Zuwachs nicht prozentual, sondern absolut konstant bleiben. Dadurch sinkt jedoch der Prozentsatz "gnadenlos".


Jahr lineares Wachstum
absolut prozentual Ergebnis
  ... ... 100,0
+ 2,8 + 2,8 % 102,8
+ 2,8 + 2,7 % 105,6
10  + 2,8 + 2,2 % 128,0
20  + 2,8 + 1,8 % 156,0
25  + 2,8 + 1,7 % 170,0
50  + 2,8 + 1,2 % 240,0
100  + 2,8 + 1,0 % 280,0
     

Im Gegensatz zum Wachstum mit einer konstanten Rate von 2,8 Prozent wird bei dieser Variante mit einer konstanten Zunahme von 2,8 Einheiten bei einem Ausgangswert von 100 Einheiten nach 25 Jahren keine Verdoppelung erreicht, aber immerhin ein Anstieg auf das 1,7fache, und nach 50 Jahren keine Vervierfachung, aber immerhin ein Anstieg auf das 2,4fache.


Und das wäre eine Menge Holz. Schließlich ist Deutschland (wie es im World Factbook der CIA heißt, wo die Länder der Erde mit der Fläche von US-Bundesstaaten verglichen werden) "slightly smaller than Montana" - hat aber ungefähr 90-mal so viel Einwohner wie der dünn besiedelte Staat im Nordwesten der USA (nach dem US-Zensus 2000). Zwar soll man solche Vergleiche nicht überstrapazieren, aber das gilt angesichts der sehr unterschiedlichen Expansionsmöglichkeiten auch für Parallelen beim Wirtschaftswachstum. In dieser Hinsicht ist das heutige Deutschland (besonders Westdeutschland), wohl eher ein "Land der begrenzten Möglichkeiten".

Ich hatte schon auf einer anderen Webseite (zum Wirtschaftswachstum in Deutschland seit 1970) auf Berechnungen hingewiesen, in denen das Statistische Bundesamt vor einigen Jahren dem Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Flächeninanspruchnahme nachgegangen ist. Dabei kam heraus, dass "bei einem realen Wachstum von jährlich 2 oder 3 % in 121 bzw. 81 Jahren rechnerisch die Siedlungs- und Verkehrsfläche die gesamte Fläche der alten Bundesländer in Anspruch nehmen würde" - wenn es nicht gelingt, Wachstum und Flächenverbrauch zu entkoppeln (Zur Interpretation und Verknüpfung von Indikatoren).

In den letzten Jahren wurden in Deutschland jeden Tag weit über eine Million Quadratmeter Landschaft zu Siedlungs- und Verkehrsfläche "verarbeitet".


Noch ein weiteres Rechenexempel. Wenn wir einmal annehmen, jede kommende Generation würde im Laufe ihres Erdendaseins als Produzenten und Konsumenten jeweils die vorgefundene gesamtwirtschaftliche Leistung verdoppeln, so wären das in Anbetracht des heutigen hohen Ausgangsniveaus durchaus bemerkenswerte "Lebensleistungen" (die allerdings nicht zwangsläufig auch zur "Verschönerung" Deutschlands beitragen würden). Aber welche Wachstumsrate ergäbe das eigentlich?

Die heutige Lebenserwartung liegt bei etwa 78 Jahren und wird in den nächsten Jahrzehnten voraussichtlich noch um einige Jahre ansteigen, aber lassen wir es hier mal bei 78. Wenn dies die Verdoppelungszeit beim Wirtschaftswachstum wäre, ergäbe sich daraus nach der Faustformel Verdoppelungszeit (in Jahren) = 70 / Wachstumsrate bzw. Wachstumsrate = 70 / Verdoppelungszeit ein jährliches Wirtschaftswachstum von rund 0,9 % - mehr nicht.

Hätte diese Entwicklung aber bereits zu Lebzeiten Karls des Großen begonnen, sagen wir im Jahr der Kaiserkrönung: 800, und seitdem permanent mit Verdoppelungszeiten von 78 Jahren angehalten (obwohl die Lebenserwartung früher natürlich erheblich niedriger war), so wären wir Heutigen damit beschäftigt, das Bruttoinlandsprodukt vom 32.768-fachen des karolingischen Ausgangswertes auf das 65.536-fache zu steigern (innerhalb der 16. Periode von 78 Jahren).

Und dabei würden wir wehklagen über die Kaufunlust der Konsumenten und die seit dem Mittelalter lahmende Konjunktur mit einem schwachen Wachstum von kaum 0,9 % jährlich, denn wir bräuchten ja wenigstens 2 oder 2,5 Prozent zum Abbau der hohen Arbeitslosigkeit.


Bei einer Verdoppelungszeit von 25 Jahren und einem entsprechenden kontinuierlichen Jahreswachstum von etwa 2,8 % seit der Französischen Revolution hätten wir 1989 das 256-fache und 2014 bereits das 512fache des Ausgangswertes erreicht. Allein der Zuwachs des Jahres 2014 wäre dann schon rund 14-mal so hoch wie der Ausgangswert im Jahre 1789.

Wenn man das BIP innerhalb von 10 Jahren verdoppeln will, wie Präsident Putin es kürzlich für Russland gefordert hat (dem entspricht ein jährliches Wachstum von etwa 7 %), mag das für ein wirtschaftlich rückständiges Land als einmalige Aktion nicht unrealistisch sein. Würde man aber einen solchen Kraftakt zehnmal hintereinander praktizieren, so ergäbe das in 100 Jahren einen grotesken Anstieg auf das 1.024fache.


Die herkömmlichen Vorstellungen von guter und schlechter Konjunktur und starkem und schwachem Wachstum - mehr sollten die obigen Beispiele nicht besagen - können nur für eine begrenzte historische Epoche gelten, und dann ist eben Feierabend - Feierabend mit Wachstum, nicht Feierabend mit Wirtschaft! Diese Einsicht steht durchaus im Einklang mit marktwirtschaftlichem Denken. Es sind vielmehr die Wachstumsfetischisten, die nicht richtig marktwirtschaftlich denken können oder wollen.

In der Marktwirtschaft sollen Angebot und Nachfrage so zusammenkommen, dass sich das für beide Seiten rechnet. Ob dabei zugleich gesamtwirtschaftliches Wachstum entsteht oder nicht, ist eine andere Frage - ein offene Frage, die von marktwirtschaftlichen Mechanismen zu entscheiden ist, und diese Entscheidung kann durchaus gegen Wachstum fallen.

Zwischenbemerkungen: Kapitalistische Planwirtschaft


Angesichts der hohen Aufmerksamkeit, die den Wachstumsprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute und des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (den so genannten fünf Weisen) in der Öffentlichkeit immer wieder zuteil wird, ist es schon erstaunlich, wie wenig man sich - auch und gerade in den Medien - darum kümmert, inwieweit die vorausgesagte Entwicklung tatsächlich eintrifft oder nicht.

Während Institute und Weise mit ihren optimistischen Wachstumsprognosen im Jahr 1999 für das Jahr 2000 (das letztendlich mit 2,9 % das höchste Wachstum seit 1990 brachte) ziemlich gut gelegen hatten, stellte sich der weiter anhaltende Optimismus in den Prognosen ab 2000 für das jeweils nachfolgende Jahr durchweg als verfehlt heraus.
Im Jahr 2000 lagen die beiden Prognosen der Institute und die des Sachverständigenrates in seinem Jahresgutachten mit dem Titel "Chancen auf einen höheren Wachstumspfad" etwa 2 % über dem späteren tatsächlichen Ergebnis des Jahres 2001 (und der quartalsweisen Entwicklung zufolge kann das wohl kaum nur an den internationalen Auswirkungen des 11. September gelegen haben).
Im Jahr 2001 überschätzten die Institute das Wachstum des Folgejahres im Frühjahrsgutachten wieder um etwa 2 % und im Herbstgutachten um gut 1 %, während der Sachverständigenrat mit seinen Erwartungen im November um gut ein halbes Prozent zu hoch lag.

Auch 2002 hat sich zumindest der Frühjahrsoptimismus der Wirtschafts(wachstums)wissenschaftler in Bezug auf das nächste Jahr (Wachstumsprognose 2,4 %) hartnäckig gehalten, führte aber am Ende zu einer herben Enttäuschung. Auf einer anderen Webseite habe ich die Zahlen zusammengestellt: Wirtschaftsforschungsinstitute und Sachverständigenrat - Links und Prognosen (aus den Gutachten ab 1999 für die Jahre ab 2000).

Sind unsere Wachstumspfadfinder (Wachstumspfad-Finder) auf dem Holzweg oder praktizieren sie nur "positives Denken"? Oder sieht es einfach nicht so gut aus, wenn ein Gutachten trotz guter Ratschläge am Ende zu weniger guten Prognosen kommt? Wohl keine besondere Reklame für Experten, die wissen, wie wir Wachstum kriegen.

Vielleicht ist ja der Wachstumspfad selbst ein Holzweg. Ein Holzweg dient in der Forstwirtschaft der Holzabfuhr. Er führt in den Wald und ist irgendwann einmal zu Ende.


Es gibt übrigens interessante naturwissenschaftliche Ansätze mit der Zielsetzung, durch einen produktiveren Einsatz von Ressourcen noch Wachstumsspielräume zu erschließen, wie "Faktor Vier - doppelter Wohlstand, halbierter Naturverbrauch". In diesem Sinne befasst sich beispielsweise eine Studie des Wuppertal Instituts für die japanische Regierung mit Konzepten für einen Anstieg der Ressourcenproduktivität.

Warten wir ab, inwieweit es gelingen kann, die Inanspruchnahme von Ressourcen, vor allem auch von Raum, vom Wachstum, und zwar von realem, gesamtwirtschaftlichem Wachstum, zu "entkoppeln". Wie bald allerdings selbst ein eventuell noch vorhandener Verdoppelungsspielraum bei Wachstumsraten in der von früher gewohnten Höhe ausgeschöpft wäre, wird anhand einfacher Rechnungen wie den obigen schnell deutlich. Man tut also wohl in jedem Fall gut daran, sich dauerhaft auf vergleichsweise niedrige prozentuale BIP-Zuwächse einzustellen, von Ausnahmejahren wie 2000 abgesehen.

Dessen ungeachtet wird es vermutlich einzelne Unternehmen und ganze Branchen geben, die durch Produktinnovation gewaltig expandieren. Für unternehmerisches Handeln besteht also bei entsprechender Findigkeit sicherlich noch großer Spielraum. Andere Wirtschaftszweige werden dagegen, wie schon in der Vergangenheit, an Bedeutung verlieren.

Daher sollten wir auch die (im konkreten Einzelfall sicherlich bedauernswerten) Insolvenzen als zunehmend normal begreifen, vielleicht sogar ganze Unternehmen eher als Projekte von begrenzter Lebensdauer verstehen, uns aber vor allem von der Zwangsvorstellung lösen, dass bei diesen schwierigen wirtschaftlichen Entwicklungs- und Anpassungsprozessen unter dem Strich Jahr für Jahr gesamtwirtschaftliches Wachstum herauskommen muss und andernfalls die Wirtschaft schlechthin in einer Krise steckt.

Setzen wir also lieber nicht darauf, hierzulande durch alle möglichen Stimulationsversuche wieder lang anhaltendes, kräftiges (gesamtwirtschaftliches) Wachstum zu generieren, sondern auf Reformen, die unabhängig vom Wirtschaftswachstum tragfähig sind, und wie viel Wachstum sich dann noch einstellt, werden wir ja sehen: aktuelle Wachstumsraten (komfortable Links zu Statistikämtern).


Anhang: Arbeitszeitverkürzung oder Arbeitszeitverlängerung?


Wie schon angekündigt; noch ein paar kurze Bemerkungen zu den Problemen Massenarbeitslosigkeit und Konsolidierung der Sozialsysteme.

Ein wichtiger Lösungsansatz - ohne auf Wachstumsillusionen zu bauen - ist nach Meinung des Autors eine gleichmäßigere Verteilung des begrenzten Arbeitsvolumens auf die Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Erwerbslose), wodurch viel Umverteilung finanzieller Art überflüssig werden würde.

Anzustreben wäre dabei die Erhöhung der Anzahl der Erwerbstätigen durch eine Verkürzung der Arbeitszeiten ohne Bruttolohnausgleich (bzw. unter Verzicht auf die sonst fälligen Lohnerhöhungsrunden), ergänzt durch eine (stufenweise) Heraufsetzung des faktischen Renteneintrittsalters, das heute im Durchschnitt bei ungefähr 60 Jahren liegt.

Bei gleichem Arbeitsvolumen würde dann von mehr Personen (pro Tag, Woche oder Jahr) individuell weniger gearbeitet, allerdings bis zu einem höheren Lebensalter. Dadurch nimmt die Anzahl der Sozialleistungsfälle (Arbeitslose, Rentner) tendenziell ab und die Anzahl der Beitragszahler in der Sozialversicherung zu. Pro Person können dann die Beiträge gesenkt werden (auch in der Krankenversicherung).

Rein rechnerisch ergibt sich dabei auch eine Senkung der Arbeitsproduktivität, soweit man sie als BIP pro Erwerbstätigen definiert, nicht jedoch eine Senkung des BIP pro Erwerbstätigenstunde (siehe in diesem Zusammenhang Pro-Kopf- und Pro-Stunde-Angaben des Statistischen Bundesamtes).


Ganz wichtig dabei ist zu erkennen, dass die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung, also das Gros der ominösen "Lohnnebenkosten", in Wahrheit - genau wie die Arbeitnehmeranteile - nichts anderes sind als "vorenthaltener" Bruttolohn, der sogleich innerhalb der Arbeitnehmerschaft einschließlich ihrer Familien und der Rentner umverteilt wird. Daher ist das Ausmaß der (nicht ohne eine gewisse sozialpolitische "Raffinesse") vom Versicherungsprinzip überdeckten Umverteilung (die eigentlich eher Aufgabe des Steuersystems wäre) weit höher als von den meisten wahrgenommen.

 
Mit einem interaktiven Steuerrechner des Bundesfinanzministeriums können Sie schnell aus einem bestimmten Bruttolohn die entsprechenden (Arbeitnehmer-)Beiträge und Steuern berechnen. (Falls der Link auf die entsprechende Seite nicht mehr aktuell sein sollte, suchen Sie den Steuerrechner über die Homepage des Bundesfinanzministeriums.)
 

Addiert man nun den gleichen Betrag wie die Arbeitnehmerbeiträge sowohl zum Bruttolohn als auch zu den Abgaben hinzu, erhält man in etwa das "wahre" Brutto und die "wahren" Abgaben (Arbeitnehmer- und so genannte Arbeitgeberanteile sowie Steuern).

In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung jedenfalls gelten auch die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung als Bestandteil des Arbeitnehmerentgelts! (Siehe dazu Anmerkung zum Volkseinkommen im Zusammenhang mit einer Tabelle zur Entstehung, Verwendung und Verteilung des Inlandsprodukts bzw. Nationaleinkommens.)

Konsequenterweise sollten dann auch die Beitragsparität abgeschafft und die Arbeitgeberanteile offiziell in Bruttolohn und 100%ige Arbeitnehmerabgaben umgewandelt werden. (Von der Unfallversicherung abgesehen würden die Arbeitgeber damit aus dem System der Sozialversicherung ausscheiden und das leidige Thema "Lohnnebenkosten" wäre im Wesentlichen erledigt.) So kommen die aus einer Zunahme der Beschäftigten resultierenden rückläufigen Sozialabgaben pro Arbeitsplatz ganz dem Arbeitnehmer zugute und das ist die grundlegende Voraussetzung für Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich, weil dann die Einbußen beim Nettoeinkommen ganz erheblich niedriger ausfallen als die Bruttolohneinbußen.


Für widersinnig und gefährlich aber hält der Autor die neuerlich wieder - über parteipolitische Grenzen hinweg - verstärkt ins Spiel gebrachte entgegengesetzte Idee, die gegenwärtigen Arbeitszeiten zu verlängern, um "unserere" Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, die sich aber, da der größere Teil unserer Wirtschaft immer noch Binnenwirtschaft ist, in erster Linie gegen die inländische Konkurrenz auswirken muss und insoweit doch kaum zu gesamtwirtschaftlichem Wachstum führen kann, sondern eher zu Konzentration.

In diesem Vorschlag kreuzen sich auf ambivalente Weise zwei Thesen. Erstens die übliche Begründung für die Notwendigkeit von Wirtschaftswachstum: Mehr Wachstum bringt mehr Arbeit. Und zweitens genau andersherum: Mehr Arbeit bringt mehr Wachstum, das heißt, die durch verlängerte Arbeitszeiten erhöhte Arbeitsproduktivität werde mehr Wachstum bringen.

Es ist jedoch geradezu unlogisch zu glauben, man könne durch eine Steigerung der Arbeitsproduktivität so viel Wachstum erzeugen, dass dadurch die Nachfrage nach dem Produktionsfaktor Arbeit steigt - eine Illusion, die auf eine sehr abstruse Vorstellung von "Ankurbelung der Wirtschaft" gegründet ist. Denn wenn - um ein Bild zu verwenden - Kühe (Arbeitnehmer) bei gleicher Futterration (Lohn) mehr Milch geben (länger arbeiten), steigt deswegen bestimmt nicht die Nachfrage nach Kühen. Auch die Annahme, dass nun zwangsläufig die Nachfrage nach Milch (Güter und Dienstleistungen) steigt, ist reichlich optimistisch.

Dieser Optimismus gründet sich vor allem auf eine Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Wenn es aber um eine immer weitergehende Steigerung des Exports geht - Lichtblick und Stütze unserer "schwächelnden" Wirtschaft -, ist Skepsis angebracht. Worauf soll das denn auf die Dauer hinauslaufen?

Etwa darauf, dass beispielsweise amerikanische Arbeiter ihre Jobs verlieren, weil deutsche Arbeiter - womöglich in Diensten ein und desselben multinationalen Konzerns - umsonst länger arbeiten, damit "wir" wettbewerbsfähiger werden - während gleichzeitig an der Frankfurter Börse jeden Tag um gute amerikanische Konjunktur-, Verbraucher- und Arbeitsmarktdaten gebetet wird?

In der Weltwirtschaft sind die Exportüberschüsse der einen die Defizite anderer. Aus übertriebenen Exportüberschüssen lässt sich kein beständiger Nutzen für die eigene Volkswirtschaft ziehen. Im Stabilitätsgesetz von 1967 ist jedenfalls nicht nur von Wirtschaftswachstum, sondern auch von außenwirtschaftlichem Gleichgewicht die Rede.

Es wäre ja auch wohl eine völlig verkehrte ökonomische Welt, wenn ausgerechnet die Verlierer gegen "uns" wie verrückt deutsche Waren importierten und sich damit ein feines Leben machten, während wir - freudestrahlend bis zum Hals in Arbeit steckend - unaufhörlich singen: "We are the champions, we are the champions ..."

Und was die nicht ganz zu Unrecht beklagte schwache Binnennachfrage angeht, müssen wir doch einsehen, dass wir - trotz aller Probleme - immer noch in einer Wohlstandsgesellschaft mit gewissen Sättigungseffekten leben. Wenngleich in der gegenwärtigen Situation viel übertriebene Konsumzurückhaltung aus Angst im Spiel sein mag, so tut den Konsumenten diese Zurückhaltung offenbar nicht wirklich weh. Sie verzichten halt auf Dinge, die sie nicht unbedingt brauchen (so sehr dies im Hinblick auf die Existenznöte von Unternehmen und Arbeitsplatzverluste zu bedauern ist).

Wenn sich aber unsere braven Arbeitnehmer-Kühe tatsächlich zu einer kostenlosen Mehrproduktion überreden ließen, wäre - nach dadurch möglich gewordenen Preissenkungen, die aber die erhofften Gewinnsteigerungen der Milchviehhalter zumindest schmälern würden - bei aller Skepsis eine leichte Steigerung der Binnennachfrage denkbar, vielleicht auch in Form eines kleinen, kurzen Strohfeuers.

Wie aber auf Grund der gesteigerten Milchleistung die Milchnachfrage so stark ansteigen soll, dass selbst die neuen Hochleistungskühe mit der Nachfrage nicht mehr mitkommen und der Milchviehbestand erweitert werden muss - und das ist ja der angebliche Hauptzweck der ganzen Aktion -, ist wohl nur für einen echten angebotsorientierten Cowboy logisch nachvollziehbar.

Denn wenn allein durch eine bestimmte Steigerung des Arbeitsvolumens ein bestimmter Anstieg des BIP bewirkt wird, dann ist damit auch erwiesen, dass ein solches Arbeitsvolumen vollkommen ausreicht, um ein solches BIP zu erzeugen, und es gibt gar keinen Grund anzunehmen, dass die erfolgte BIP-Steigerung ihrerseits in einer kausalen Wechselwirkung eine weitere Steigerung des Arbeitsvolumens nach sich zieht - diesmal in Form von Neueinstellungen.

Ob es aber überhaupt zu einem solchen, nicht beschäftigungswirksamen, bescheidenen Wachstumsschub kommt, ist ungewiss. Bei der großen Mehrheit der Privathaushalte entsteht ja keine zusätzliche Kaufkraft, da die Arbeitnehmer trotz längerer Arbeitszeiten für denselben Lohn arbeiten und eine Stellenzunahme unter diesen Umständen illusorisch ist. Und wenn dann vorsichtige Anbieter abwarten, bis die Konsumenten wieder höhere Kaufbereitschaft zeigen, kommt die Produktionserhöhung nicht in Gang - und das länger arbeitende Personal ist nicht voll ausgelastet.

Wenn wir bei unserer leicht zynischen Metapher bleiben, müssen wir zu dem Schluss kommen, dass eine Steigerung der Milchleistung pro Kuh bei unverändertem oder nur leicht gestiegenen Milchabsatz nach den Gesetzen des Marktes sehr wahrscheinlich auf eine Reduzierung des Milchviehbestandes hinauslaufen wird - und das hieße weiterer Abbau von Stellen - bzw. Ställen (aber hören wir angesichts des Ernstes der Problematik lieber auf mit solchen Kalauern).

Auf keinen Fall darf dieser Kardinalfehler der Vergangenheit fortgesetzt und das begrenzte Arbeitsvolumen noch ungleichmäßiger auf die Erwerbspersonen verteilt werden. Genau andersherum wird ein Schuh draus.

Eines der leider eher seltenen Plädoyers für Arbeitszeitverkürzungen - für die auch die Gewerkschaften, um es milde zu formulieren, nicht konsequent genug eingetreten sind (und nun mit einem Schwund an zahlenden Mitgliedern dafür bestraft werden) - gibt Detlef Hensche ab, der ehemalige Vorsitzende der IG-Medien: "Jahr für Jahr reduziert sich insgesamt die Gesamtsumme der Arbeitszeit. Warum soll ich nicht zu einer gerechteren Verteilung der geringeren Summe an Arbeitszeit kommen, damit alle Menschen mehr Freizeit haben und übrigens dann auch alle die Chance haben, Arbeit zu finden." (Polit-Talk bei Sabine Christiansen am 22.06.03).

In diesen Arbeitszeitverkürzungen, die sich auf verschiedenste Art und Weise und mit Hilfe von Arbeitszeitkonten sehr flexibel und branchen- und betriebsspezifisch praktizieren ließen und die zu einem späteren Zeitpunkt, wenn es die Situation aus demographischen oder anderen Gründen erfordern sollte, durchaus wieder rückgängig gemacht werden könnten, muss ja auch kein Allheilmittel gesehen werden.

Eine stärkere Steuerfinanzierung von Sozialleistungen ist ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt. Durch eine Senkung lohnbezogener Sozialabgaben und eine entsprechende Erhöhung der Mehrwertsteuer könnte zugleich den Abwanderungsplänen von Unternehmen, die in Niedriglohnländern (wie den benachbarten EU-Beitrittsstaaten) kostengünstig für den deutschen Markt produzieren wollen, entgegenwirkt werden. Die Mehrwertsteuer könnte mit Rücksicht auf minder bemittelte Haushalte für notwendige Güter geringer und für Luxusgüter höher ausfallen.

Das gäbe uns auch Gelegenheit, über den Sinn von Produkten bzw. Produktion nachzudenken und zu diskutieren. Vielleicht gelangen wir dadurch auch besser zu den viel beschworenen Innovationen und erhalten als "Nebenprodukt" sogar wieder Wachstum.

Aber wie schon gesagt: Setzen wir nicht auf lang anhaltendes gesamtwirtschaftliches Wachstum, sondern auf Reformen, die unabhängig vom Wirtschaftswachstum tragfähig sind, und wie viel Wachstum sich dann noch einstellt, werden wir ja sehen.



Vielleicht bin ich ja zu pessimistisch im Hinblick auf künftiges Wirtschaftswachstum. Vielleicht bin ich aber auch zu optimistisch in der Hoffnung, dass die Marktwirtschaft ein Ende des Wachstums verkraften könnte. In einem Aufsatz unter dem Titel: "Von Rom nach Wuppertal? Auf der Suche nach den ökologischen Grenzen des Wachstums" (1999) meint Jan Priewe, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin:

"Auf weiteres Wirtschaftswachstum könnte man, wenn es denn ökologisch zwingend ist, vielleicht relativ leicht verzichten, wenn sich eine Sättigungstendenz bei den Bedürfnissen durchsetzen würde, wie sie insbesondere Karl Georg Zinn vielfältig untersucht hat .. - wenn nicht kapitalistische Wirtschaftssysteme auf gewinnsteigernde Kapitalakkumulation inhärent ausgerichtet wären .. Durch Wettbewerb angetriebener technischer Wandel erzeugt ständige Produktivitätssteigerungen; bei einer permanent offenen Wachstums-Produktivitäts-Schere vermindert sich die Beschäftigung fortwährend. Arbeitszeitverkürzungen würden den Problemen nur hinterherhinken, so daß eine ständig zunehmende Umverteilung der Einkommen von den Erwerbstätigen zu den Erwerbslosen notwendig wäre. Freilich könnte ein erheblicher Teil der Probleme vermieden werden, wenn das Produktivitätswachstum zum Stillstand käme. Schließlich ist auch die Staatstätigkeit an wachstumsabhängige Steuereinnahmen eng gekoppelt. Von zentraler Bedeutung ist ferner, daß die gesamtwirtschaftlichen Nettoinvestitionen von Null, mehr wird ja bei Nullwachstum nicht gebraucht, zu einem nahezu gewinnlosen Zustand führen. Gewinne würden nur im Ausmaß des Unternehmerkonsums existieren (bzw. dürften hierfür verwendet werden). Damit sind praktisch keine marktwirtschaftlichen Produktionsanreize mehr vorhanden. Ein marktwirtschaftliches System im stationärem Zustand ist folglich außerordentlich instabil."

Priewe meint: "Viele machen es sich zu leicht, wenn sie Nullwachstum in der Folge eines Übergangsprozesses zu sustainability für unvermeidbar und sozial wie ökonomisch für relativ unproblematisch halten", und sein Fazit lautet: "Den Industrieländern steht im kommenden Jahrhundert eine komplizierte Gratwanderung zwischen ökologischen Risiken und ökonomischen wie sozialen Imperativen bevor, die einen neuen Typ von Wirtschaftspolitik herausfordert."

Und - wie nur noch hinzuzufügen bleibt - einen neuen Typ von Wirtschaftswissenschaft sowie Ökonomen, die zu mehr imstande sind, als (nach dem alten, auch auf anderen Gebieten sehr verbreiteten Prinzip "Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing") das Hohe Lied vom Wachstum zu trällern.




PdWb-Archiv

Homepage (mit Navigationsleiste): www.pdwb.de