Wirtschaftswachstum in Deutschland seit 1970




Hinweis: Einen schnellen Gesamtüberblick geben zwei Tabellen mit Angaben zum BIP und Pro-Kopf-BIP (in konstanten Preisen) und den prozentualen Veränderungen ab 1970 in der alten BRD und ab 1991 in Gesamt-, West- und Ostdeutschland. Mehrere Diagramme veranschaulichen diese Zahlen.


Für die Jahre ab 1970 hat das Statistische Bundesamt lange Zeitreihen nach dem Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG 1995) erstellt, u. a. mit dem Bruttoinlandsprodukt in Preisen von 1995 (in Euro). Bis zum Jahre 1991 beziehen sich die Reihen auf das frühere Bundesgebiet, also die alte BRD mit West-Berlin.

In der folgenden Tabelle sind die Zahlen bis 1991 dekadenweise zusammengefasst. Zusätzlich sind dort auch die Einwohnerzahlen (zum jeweiligen Jahresende) und das prozentuale Bevölkerungswachstum angegeben, das allerdings innerhalb der Dekaden nicht gleichmäßig verlief.

Zur Klarstellung: Die angegebenen BIP- und Bevölkerungszuwächse knüpfen hier an den Endstand des Jahres 1970 an und umfassen die Jahrzehnte 1971-80 und 1981-90 sowie das Abschlussjahr 1991 (insgesamt also einen Zeitraum von 21 Jahren). Der Deutlichkeit halber sind in der Tabelle Zuwächse und Endergebnisse in separaten Zeilen angegeben.


  BIP
in Euro 1995
BIP-Wachstum Einwohner
zum Jahresende
Bevölkerungszunahme
absolut proz. absolut proz.
1970 897,0 Mrd.     61,001 Mio.    
1971-1980   + 281,7 Mrd. 31,4 %   + 0,657 Mio. 1,1 %
1980 1.178,7 Mrd.     61,658 Mio.    
1981-1990   + 300,9 Mrd. 25,5 %   + 2,068 Mio. 3,4 %
1990 1.479,6 Mrd.     63,726 Mio.    
1991   + 75,4 Mrd. 5,1 %   + 0,759 Mio. 1,2 %
1991 1.555,0 Mrd.     64,485 Mio.    


Auch wenn die Wiedervereinigung vom 3. Oktober 1990 datiert, wurde das Folgejahr 1991 noch in die Zeitreihe für das frühere Bundesgebiet aufgenommen, um den Übergang auf den neuen Gebietsstand in statistischer Hinsicht zu erleichtern. Zugleich aber steht dieses Jahr am Beginn der BIP-Reihe für Gesamtdeutschland, für 1991 gibt es also einen Doppelnachweis.

Es folgt eine Tabelle mit dem BIP und Bevölkerungsstand von (Ende) 1991 der früheren Bundesrepublik (wie oben bereits angegeben) und des wieder vereinigten Deutschland. Darauf folgen die Angaben für die verbleibenden neun Jahre des Jahrzehnts bis einschließlich 2000 sowie das Jahr 2001.


  BIP
in Euro 1995
BIP-Wachstum Einwohner
zum Jahresende
Bevölkerungszunahme
absolut proz. absolut proz.
frühere BRD 1991 1.555,0 Mrd.     64,485 Mio.    
 
rechnerischer Zuwachs durch die ehemalige DDR (die am 3.10.1990 beigetreten war):
    + 155,8 Mrd. 10,0 %   + 15,790 Mio. 24,5 %
 
Deutschland 1991 1.710,8 Mrd.     80,275 Mio.    
1992 - 2000   + 258,7 Mrd. 15,1 %   + 1,985 Mio. 2,5 %
2000 1.969,5 Mrd.     82,260 Mio.    
2001   + 11,3 Mrd. 0,6 %   + 0,181 Mio. 0,2 %
2001 1.980,8 Mrd.     82,440 Mio.    


Für die ersten zehn Jahre der neuen Zeitreihe von Anfang 1992 bis Ende 2001 errechnet sich ein BIP-Zuwachs von 270,0 Milliarden € = 15,8 % des gesamtdeutschen BIP 1991 sowie ein Bevölkerungszuwachs von 2,165 Millionen = 2,7 %. (Diese Angaben werden weiter unten noch nach westlichen und östlichen Bundesländern aufgeschlüsselt.)

Geht man von den Zahlen des Statistischen Bundesamtes für das doppelt nachgewiesene Jahr 1991 aus, so lässt sich, wie aus der Tabelle zu ersehen, für das BIP, das die neuen Länder in dem Jahr in die Wirtschaftsstatistik des wieder vereinigten Deutschland einbrachten, ein Betrag in Höhe von 155,8 Mrd. Euro errechnen. Das entspricht etwa 10 % des BIP 1991 des früheren Bundesgebiets. Der beitrittsbedingte Bevölkerungszuwachs aber betrug annähernd 25 %.

Dadurch sackte das Pro-Kopf-BIP der Bundesrepublik, wenn man wieder 1991 (das Jahr nach der Wiedervereinigung) zum Bezugsjahr nimmt, im Gesamtdurchschnitt von rund 24.300 Euro (wie immer in Preisen von 1995) um rund 12 % auf etwa 21.400 Euro ab - d. h. im rechnerischen Gesamtdurchschnitt. Faktisch bestand der Unterschied zwischen West und Ost natürlich fort und der wirtschaftliche Aufholprozess des Ostens ist bekanntlich bis heute im Gange.

Anmerkung: Bei der Berechnung der (gerundeten) Pro-Kopf-Werte wurden nicht die oben angegebenen Einwohnerzahlen zum Jahresende zugrunde gelegt, sondern die Jahresdurchschnittswerte (1991 lebten im früheren Bundesgebiet durchschnittlich 64,074 Mio. und in Gesamtdeutschland 79,984 Mio.), was jedoch zu keinem großen Unterschied führt. Bei den Einwohnerzahlen in der turbulenten Zeit vor und nach der Wiedervereinigung und bei gleichzeitigen enormen Migrationsbewegungen über die Außengrenzen ist ohnehin mit einer gewissen Ungenauigkeit zu rechnen. - Für die neuen Länder (mit Ost-Berlin) werden vom Stat. Bundesamt 15,910 Mio. Einwohner im Jahresdurchschnitt 1991 angegeben und für den Tag der Wiedervereinigung (3.10.1990) 16,111 Mio.

Ausgehend von dem 1991 gemeinsam erreichten Niveau von 1.710,8 Mrd. Euro in Preisen von 1995 stieg das Gesamt-BIP nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes in den neun Jahren von 1992 bis 2000 auf 1.969,5 Mrd. Euro an und zwar in folgenden jährlichen Wachstumsraten: 2,2 %, minus 1,1 %, 2,3 %, 1,7 %, 0,8 %, 1,4 %, 2,0 %, 2,0 %, 2,9 % (Berechnungsstand August 2002).

Das Wachstum verlief jedoch in West und Ost sehr unterschiedlich. Nach Angaben des Arbeitskreises Volkswirtschaftliche Gesamtrechungen der Länder betrug das Wachstum beispielsweise 1993 in den östlichen Ländern 8,7 %, im Westen minus 2,6 %. Im Jahr 2000 waren es im Westen 3,1 %, im Osten nur 1,4 % (Berechnungsstand Febr. 2003).

Im Jahr 2001 wuchs das deutsche Gesamt-BIP nur um 11,3 Mrd. € = 0,6 % auf 1.980,8 Mrd €. Das Pro-Kopf-BIP, das nach der Wiedervereinigung rechnerisch um 12 % gefallen war, ist jedoch mit rund 24.100 Euro schon wieder nahe am Stand des früheren Bundesgebietes von 1991 (und schon über dem Stand von 1990). Dieser gesamtdeutsche Durchschnittswert darf aber über ein nach wie vor bestehendes großes West-Ost-Gefälle nicht hinwegtäuschen. Nach Angaben des Arbeitskreises VGR der Länder beträgt das BIP 2001 pro Einwohner in den neuen Ländern ohne Berlin 15.957, in Berlin 21.587, in den neuen Ländern einschließlich Berlin 17.066 und in den westlichen Ländern 25.899 Euro in Preisen von 1995 (Berechnungsstand Febr. 2003).

Dabei war die Wirtschaft in den 10 Jahren nach 1991, also von Anfang 1992 bis 2001 einschließlich, in den östlichen Ländern mit ganz Berlin um 36,1 % gewachsen (215,400 Mrd. € + 77,686 Mrd. € = 293,086 Mrd. € in Preisen von 1995), während der Westen um 12,9 % zulegte (1.495,400 Mrd. € + 192,314 Mrd. € = 1.687,714 Mrd. €). Allerdings war die Bevölkerungsentwicklung ganz unterschiedlich: Einem Rückgang der Bevölkerung im Osten um 4,7 % (17,955 Mio. - 0,838 Mio. = 17,117 Mio.) stand im Westen eine Zunahme um 4,8 % (62,320 Mio. + 3,002 Mio. = 65,322 Mio.) gegenüber. Daher ist das Pro-Kopf-BIP in den östlichen Ländern immerhin um 43,2 %, in den westlichen Ländern nur um 7,2 % gestiegen.

(Diese Angaben gelten wie gesagt für den Zehnjahreszeitraum 1992 bis 2001 einschließlich. Es sollte noch erwähnt werden, dass dabei im Jahre 2001 das BIP der westlichen Bundesländer stieg, während es im Osten zurückging. Geichwohl stieg auch dort das BIP pro Kopf, weil die Bevölkerung noch stärker zurückging als das BIP. Diese BIP-Veränderungen des Jahres 2001 waren allerdings in West- und Ostdeutschland relativ gering.)

Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes in Verbindung mit denen des Länderarbeitskreises ermöglichen auch eine Berechnung, um welchen Faktor das BIP nach 1970 im früheren Bundesgebiet gewachsen ist - mit einer geringfügigen Unschärfe, weil in den jüngeren Angaben West- und Ost-Berlin nicht voneinander abgegrenzt sind. Nach dem Berechnungsstand vom Februar 2003 betrug das BIP 2001 in den westlichen Bundesländern rund 1.687,7 Mrd. Euro und in Gesamt-Berlin 73,1 Mrd. Euro in Preisen von 1995. Daraus lässt sich leicht errechnen, dass sich das BIP im früheren Bundesgebiet, das 1970 noch 897,0 Mrd. Euro betragen hatte, in den folgenden 31 Jahren fast verdoppelt hat.

Das Pro-Kopf-BIP der Bundesrepublik stieg in dieser Zeit von 14.800 Euro (im früheren Bundesgebiet) auf 24.100 Euro (im wieder vereinigten Deutschland), liegt also 2001 ungeachtet unserer - wie es immer heißt: "schwächelnden" Wirtschaft und trotz des schwierigen Entwicklungsprozesses im Osten um circa 63 % über dem Niveau der alten BRD von 1970 (in Preisen von 1995 gerechnet).


Dass aber in der Bundesrepublik ein langfristiger Trend zu nachlassendem Wachstum besteht, ist an den Statistiken ebenfalls deutlich abzulesen. So ist beispielsweise der absolute Zuwachs im wieder vereinigten Deutschland in den 10 Jahren nach 1991 geringer ausgefallen als in den beiden Jahrzehnten vor 1991 in der alten BRD allein: nach 281,7 Mrd. (Anfang1971-Ende80) und 300,9 Mrd. (1981-90) in der alten BRD und nach den besonderen Veränderungen in 1991 (s. o.) folgte nur ein Anstieg von 270,0 Mrd. in ganz Deutschland im Zehnjahreszeitraum 1992-2001. Noch stärker drückt sich das im Rückgang der entsprechenden prozentualen Zuwächse aus: 31,4 %, 25,9 % und 15,8 %. (Hinter der letzten Zahl stehen allerdings wie bereits gesagt 12,9 % Wachstum in den westlichen und 36,1 % in den östlichen Bundesländern, die bis Mitte der 90er Jahre hohe Wachstumsraten verzeichnen konnten.)

Ähnlich resümiert auch das Statistische Bundesamt in Bezug auf die durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten (wobei sich die folgenden Jahreszahlen offenbar auf das jeweilige Jahresende beziehen): "Das Wirtschaftswachstum im früheren Bundesgebiet sowie seit 1991 in Deutschland hat sich – gemessen an der Veränderung des Bruttoinlandsprodukts in Preisen von 1995 – seit 1970 kontinuierlich abgeschwächt. Betrug die durchschnittliche jährliche Veränderung von 1970 bis 1980 noch 2,8 %, so lag sie von 1980 bis 1991 bei 2,6 % und von 1991 bis 2001 bei 1,5 %" (Pressemitteilung vom 18.07.2002).

(Zur aktuellen Lage siehe Bruttoinlandsprodukt vierteljährlich, Veränderung zum Vorjahresquartal in %.)


Noch einige Zahlen am Rande:

In den Jahren 1999, 2000 und 2001 wuchs das BIP real um 2,0 %, 2,9 % und 0,6 %. Zeitgleich stieg das BIP je Erwerbstätigen um 0,8 %, 1,1 % und 0,1 % und das BIP je Erwerbstätigenstunde um 1,5 %, 2,2 % und 1,0 % (zu diesen und weiteren Angaben siehe Pro-Kopf und Pro-Stunde-Angaben des Statistischen Bundesamtes - inzwischen über das Jahr 2001 hinaus fortgesetzt).

Diese Zahlen deuten an, dass zu einem deutlichen Abbau der Arbeitslosigkeit, die hier aber nicht das Thema ist, entweder Arbeitszeitverkürzungen (in den verschiedensten Formen) erforderlich wären oder aber - wie landauf, landab gefordert - mehr Wirtschaftswachstum.


Was wäre eigentlich, wenn die Bundesrepublik das Niveau der 70er Jahre gehalten hätte und auch weiterhin halten würde? Dazu eine hypothetische Rechnung: 2,8 % Wachstum pro Jahr - wie in dem Jahrzehnt 1971-80 - ergeben in ziemlich exakt 25 Jahren eine Verdoppelung des Ausgangswertes. (Dafür gibt es übrigens eine einfache Formel: Verdoppelungszeit gleich 70 durch Wachstumsrate.) Bei langfristig konstanter Wachstumsrate käme es dann alle 25 Jahre zu einer weiteren Verdoppelung.

Das frühere Bundesgebiet würde dann im Jahr 2020 eine Vervierfachung des BIP von 1970 erreicht haben. Nach Ablauf von 100 Jahren (ab 1970 gerechnet) würde bereits das 16fache des Ausgangs-BIP erreicht und nach weiteren hundert gar das 256fache. Bei einer jährlichen Rate von 3,5 % (das entspricht ungefähr dem durchschnittlichen amerikanischen Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte) würde nach 100 Jahren bereits das 32fache erreicht, zweimal so viel wie bei einer Rate von 2,8 %. (Hundert Jahre klingt viel, aber die heute Anfang-30-Jährigen haben gute Chancen, die Zeitspanne von 1970 bis 2070 zum weitaus größten Teil mitzuerleben.)

Wenn man bedenkt, dass das deutsche BIP (2000, KKP) etwa 4,6 % des gesamten Weltprodukts ausmacht, lässt sich erahnen, was derartige Vervielfachungen bedeuten würden. Da es sich dabei um reales, unter Zuhilfenahme von Waren- und Dienstleistungskörben ermitteltes Wachstum handelt, muss ein solcher Anstieg (expontielles Wachstum) unrealistisch erscheinen. Eigentlich sollte jedem klar werden: Früher oder später müssen die Wachstumsraten zurückgehen, schon im Hinblick auf das begrenzte deutsche Staatsgebiet von rund 357.000 km², auf dem sich die Entstehung des Inlandsprodukts per definitionem abspielt.


In diesem Zusammenhang sind internationale Vergleiche durchaus sinnvoll, wenn sie vernünftig durchgeführt werden und nicht so, als ginge es um Tabellenplätze in einer ökonomischen Weltliga, wo die Leistung der teilnehmenden Nationen nach innerhalb einer Saison erspielten Wirtschaftspunkten gemessen wird und der Ausgang der jeweiligen Spielsaison ganz unabhängig ist vom Ergebnis aller voraufgegangenen. Bei Vergleichen mit anderen Ländern, die mehr "Wachstum bekommen", ist vielmehr auch zu berücksichtigen, dass die bundesdeutsche Wirtschaft schon viel "Wachstum gehabt" hat und dies nicht ohne Folgen für die weitere Entwicklung bleiben kann.

Sehen wir also nicht nur auf temporäre BIP-Wachstumsraten, sondern auch auf den erreichten Stand, und beurteilen ihn nach der Größe der Bevölkerung und der zur Verfügung stehenden Landesfläche. Betrachten wir in diesem Sinne, ohne zu sehr ins Detail zu gehen, das deutsche BIP 2000 - das Ausgangsniveau für das viel beklagte geringe Wirtschaftswachstum in der Folgezeit - im internationalen Vergleich:

Das Pro-Kopf-BIP Deutschlands liegt trotz des niedrigen, zu Lasten des Gesamtdurchschnitts gehenden BIP Ostdeutschlands (zumindest nach Angaben der Weltbank) immer noch klar über dem EU-Durchschnitt, das Pro-Kopf-BIP Westdeutschlands weit darüber. Und dabei ist der geographische Rahmen zu berücksichtigen, der für die Bundesrepublik mittlerweile schon ziemlich eng geworden ist, womit sich die Bedingungen für künftiges, anhaltend kräftiges Wachstum nicht gerade verbessert haben.

Wenn beispielsweise die USA mit ihrem heute schon überragenden Pro-Kopf-BIP ihr Bruttoinlandsprodukt 2000 noch verdoppeln würden (dies entspräche wie gesagt einem jährlichen Wachstum von 2,8 % über 25 Jahre oder 3,5 % über 20 Jahre), bedeutete das im landesweiten Durchschnitt pro Quadratkilometer einen Anstieg von 1 auf 2 Millionen international dollars. Eine BIP-Verdoppelung in Deutschland aber würde einen Anstieg von 5,8 auf 11,6 Millionen bedeuten. Speziell für Westdeutschland ergäbe sich sogar ein Anstieg von 7,1 auf 14,2 und selbst für Ostdeutschland immerhin noch von 2,8 auf 5,6 Millionen international dollars je km².

Die mit der Steigerung des BIP verbundene Inanspruchnahme der begrenzten Landesfläche aber ist nicht nur in ökologischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht bedenklich, denn eine überhand nehmende Verdichtung, Verkehrs- und Entsorgungsprobleme, Akzeptanzprobleme bei Baumaßnahmen, kostspielige Umweltschutzmaßnahmen, zunehmender Reglementierungsbedarf, vermeintlich unnötige "bürokratische" Prozeduren, langwierige Genehmigungsverfahren usw. müssen zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Standortbedingungen führen.

Bei allem Vorbehalt gegenüber groben Durchschnittswerten von Ländern unterschiedlicher Größe oder in unterschiedlicher geographisch-klimatischer Lage: Nur sehr wenige Länder kommen bisher auf ein höheres BIP je km², darunter die Niederlande (2000: 9,8 Mio. int.$/km²), die im letzten Jahrzehnt ein beneidenswertes Wachstum zu verzeichnen hatten, sich aber nun enormen Raumproblemen gegenübersehen (s. VROM: Spatial planning). Es wird daher nicht uninteressant sein, die weitere Entwicklung im - wirtschaftlich eng mit Deutschland verflochtenen - Nachbarland zu verfolgen. (Siehe dazu Kernindikatoren, Wirtschaftswachstum = Economische groei [ausgesprochen: "chrui"] mit aktuellen Angaben des niederländischen CBS.)

Dabei wird wie in Deutschland die künftige Entwicklung in hohem Maße von der Weltkonjunktur und ihren Einfluss auf den Export mitbestimmt werden. Gleichwohl muss die Erwartung, dass die Steigerung des Inlandsproduktes von Ländern mit extrem hohem BIP pro km² durch den Außenhandel mit Ländern mit vergleichsweise geringem BIP pro km² dauerhaft anzukurbeln sei oder dass die ersteren Länder sogar noch die Rolle von Zugpferden übernehmen könnten, doch eigentlich widersinnig erscheinen.

Zu den Ländern mit einem extrem hohen BIP pro km² gehört auch und gerade die große Wirtschaftsnation Japan (2000: 9,0 Mio. int.$/km²), die ihre einstige Rolle als Weltwirtschaftslokomotive endgültig ausgespielt zu haben scheint. (Zur aktuellen Lage siehe Monthly Statistics of Japan, National Accounts > Gross Domestic Expenditure, vgl. auch Statistical Yearbook, National Accounts > unter Gross Domestic Expenditure.)

Dass dafür Raumprobleme mit ursächlich sind, bliebe näher zu untersuchen, liegt aber nahe. Unter dem Titel "Tokyo quo vadis?" befasst sich beispielsweise W. Flüchter mit dem Ballungsraum um die japanische Hauptstadt, dem größten der Welt, in dem ein großer Teil der japanischen Bevölkerung lebt und arbeitet. U. a. wird von mangelnden Möglichkeiten für Betriebserweiterungen und exorbitanten Bodenpreisen berichtet. (In der Zeit der "Seifenblasenwirtschaft" war allein schon das Stadtgebiet von Tokio so hoch bewertet wie die gesamte Fläche der USA - und die relativ kleine Gesamtfläche Japans viermal so hoch wie das Gebiet der Vereinigten Staaten!)

Die Flächenproblematik ist natürlich primär eine Frage der Bevölkerungsdichte, die unter hoch industrialisierten Bedingungen zwangsläufig zu einem hohen BIP pro Flächeneinheit führt. Und Japan und Deutschland gehören zu den am dichtesten bevölkerten Industrieländern der Erde (Japan in noch höherem Maße als Deutschland). Daher ist die Inanspruchnahme von Flächen nicht allein im Zusammenhang mit Wirtschaftswachstum zu sehen, sondern insbesondere auch mit dem Wachstum der Bevölkerung, das seinerseits wiederum das Wirtschaftswachstum beeinflusst. So offenkundig dieser Zusammenhang auch erscheinen mag, so schwierig sind wissenschaftliche Versuche, die verschiedenen Antriebsfaktoren und Wirkungszusammenhänge genauer zu verstehen und wenn möglich auch mathematisch darzustellen.


Dem Zusammenhang zwischen Inanspruchnahme von Fläche und Wirtschaftswachstum ist das Statistische Bundesamt in einer Studie "Zur Interpretation und Verknüpfung von Indikatoren (Interlinkages)" (Anlage 2 zum Bericht der Bundesregierung vom April 2000 zur "Erprobung der CSD-Nachhaltigkeitsindikatoren in Deutschland") nachgegangen.

Dabei wurde für den Zeitraum von 1960 bis zur Flächenerhebung 1997 zwar festgestellt, dass "das Wachstum der Siedlungs- und Verkehrsfläche seit den 60er Jahren deutlich geringer ausgefallen ist als das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts". Gleichwohl wurde ein stabiler, mathematisch belegbarer Zusammenhang in Form einer sehr gut angenäherten Regressionsgeraden deutlich. Seit 1960 war im ehemaligen Bundesgebiet ein BIP-Zuwachs von 1 Mio. DM in Preisen von 1991 jeweils mit einer Inanspruchnahme von 0,8 ha verbunden.

"Würde sich der lineare Zusammenhang fortsetzen, so ist leicht ermittelbar, daß bei einem realen Wachstum von jährlich 2 oder 3 % in 121 bzw. 81 Jahren rechnerisch die Siedlungs- und Verkehrsfläche die gesamte Fläche der alten Bundesländer in Anspruch nehmen würde." Das ist jedoch völlig absurd und so heißt es weiter: "Natürlich wird diese Entwicklung so nicht eintreten. Der Zusammenhang verdeutlicht jedoch anschaulich, daß dem Phänomen der Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Flächenverbrauch in den nächsten Jahren eine erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet werden muß."

Zwar ist schon von leichten Entkopplungstendenzen vorsichtig die Rede, gleichwohl hat die Siedlungs- und Verkehrsfläche nach den Ergebnissen der Flächenerhebung 2001 zwischen den letzten beiden Erhebungsstichtagen (31.12.1996 und 31.12.2000) um täglich 129 ha zugenommen, nachdem die tägliche Zunahme in den vier Jahren davor bei 120 ha gelegen hatte (siehe Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom April 2002 und Flächenerhebung). Allerdings war auch das Wirtschaftswachstum in dem ersten der beiden Vierjahreszeiträume geringer, 1993 sogar rückläufig.

129 Hektar pro Tag sind gleichbedeutend mit 1,29 Quadratkilometern oder 1.290.000 Quadratmetern Landschaft, die in Wohngebiete, Industrie- und Gewerbegebiete sowie Verkehrswege umgewandelt wurden. Zur Flächeninanspruchnahme siehe auch Kurzbericht über Ergebnisse der Umweltökonomischen Gesamtrechnungen zur Bodennutzung durch wirtschaftliche Aktivitäten.


Ohne zu sehr auf einem einzelnen Aspekt der viel umfassenderen Ressourcenproblematik herumreiten zu wollen, noch einige statistische Angaben zum Flächenverbrauch. Zunächst eine Tabelle mit Zahlen zur Flächeninanspruchnahme und zum Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum in den Zeiträumen 1993-1996 und 1997-2000, zusammengestellt bzw. berechnet nach Angaben des Statistischen Bundesamtes:


  Siedlungs- und
Verkehrsfläche
in Hektar
Zunahme der
S.- u. V.-Fläche
BIP
in Mrd.
Euro 1995
BIP-Wachstum Einw. am
Jahresende
in Mio.
Bevölkerungs-
wachstum
absolut proz. absolut proz. absolut proz.
1992 4.030.524     1.749,1     80,975    
1993-1996   + 174.692 4,3 %   + 66,0 3,8 %   + 1,037 1,3 %
1996 4.205.216     1.815,1     82,012    
1997-2000   + 188.679 4,5 %   + 154,4 8,5 %   + 0,248 0,3 %
2000  4.393.895     1.969,5     82,260    
 Summen / Zunahme:
1993-2000   + 363.371 9,0 %   + 220,4 12,6 %   + 1,285 1,6 %


Dabei sind die regionalen Unterschiede - vor allem zwischen Ost und West - zu bedenken, insbesondere der Umstand, dass die Bevölkerung im Osten kontinuierlich abnimmt, während die Bevölkerung im Westen wesentlich stärker zunimmt als in Deutschland insgesamt. Von Ende 1992 bis Ende 1996 nahm die Bevölkerung der westlichen Bundesländer um 1,304 Mio. und von Ende 1996 bis Ende 2000 um 0,606 Mio. zu. Das entspricht - natürlich nur rein rechnerisch - 13 und danach weiteren 6 neuen Großstädten mit je 100.000 Einwohnern.

(Im Anschluss an die beiden Vierjahreszeiträume kamen in einem einzigen Jahr [2001] noch einmal 0,295 Mio. Personen oder 3 Großstädte dazu, also insgesamt 22 Großstädte in 9 Jahren - wie gesagt rein rechnerisch und allein auf Westdeutschland bezogen.)

In ganz Deutschland wuchs der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der gesamten Bodenfläche von 11,3 % (Ende 1992 / Erhebung 1993) über 11,8 % (Ende 1996 / Erh. 1997) auf 12,3 % (Ende 2000 / Erh. 2001, bei einer Gesamtfläche von 35.703.099 Hektar = 357.031 km²). Siehe auch Übersichtstabelle Bodenflächen nach Art der tatsächlichen Nutzung. In Ostdeutschland macht der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche nunmehr 9,2 %, in Westdeutschland 13,7 % und speziell in Nordrhein-Westfalen bereits 21,0 % aus.


Obwohl die vorangegangenen Ausführungen manchem Wachstumsenthusiasten zu pessimistisch oder defätistisch und gerade angesichts der derzeitigen Lage deplaziert erscheinen mögen, geht es doch nur um etwas mehr Realitätssinn in Sachen Wirtschaftswachstum, um mit den zweifellos notwendigen Maßnahmen - insbesondere im Hinblick auf den Abbau der Arbeitslosigkeit - nicht an der falschen Stelle anzusetzen.

Inwieweit es gelingen kann, das Wachstum vom Ressourcenverbrauch abzukoppeln, wie es sich möglicherweise beim Flächenverbrauch in jüngster Zeit (s. o.) andeutet, mag ruhig ausgelotet und mit gesunder Skepsis abgewartet werden. Im Übrigen aber ist es wichtig, sich klarzumachen, wie hoch das bereits erreichte Niveau der gesamtwirtschaftlichen Leistung ist und dass es deshalb für die vorherrschende depressive Stimmung (mit überängstlicher Konsumzurückhaltung im Gefolge - und das ist dann wirklich ein Problem) eigentlich keinen Grund gibt, sofern man nur endlich aufhört, wirtschaftliche Prosperität allein im fortgesetzten Wachstum zu sehen und damit gleichzusetzen.

Wie schon gesagt, liegt das (gesamt-)deutsche BIP 2001 pro Einwohner - also alle hier lebenden erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Personen eingerechnet - im langfristigen zeitlichen Vergleich, nach den Zeitreihen des Statistischen Bundesamtes in konstanten Preisen gerechnet, um circa 63 % über dem des Jahres 1970 in der alten Bundesrepublik, als Arbeitslosigkeit kaum ein Thema war.

Daher lassen sich die heutigen Probleme auf dem Arbeitsmarkt und bei der Finanzierung der Sozialen Sicherung und anderer öffentlicher Aufgaben nicht einfach auf eine zu geringe gesamtwirtschaftliche Leistung zurückführen - und müssen, von der besonderen Situation in Ostdeutschland einmal abgesehen, auch anders zu lösen sein als durch mehr Wirtschaftswachstum.


(Angaben über das Jahr 2001 hinaus enthalten die eingangs erwähnten Tabellen und Diagramme.)



Online-Quellen bzw. Berechnungsgrundlagen:

  • Statistisches Bundesamt (www.destatis.de)
    > Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen > Ausgewählte lange Reihenwähle: Download

  • Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (www.statistik.baden-wuerttemberg.de)
    > Volkswirtschaft, Preise
    > Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder:
    Länderergebnissewähle: Bruttoinlandsprodukt in Preisen von 1995 und andere Angaben

  • Tabelle Bevölkerungszunahme in Deutschland 1950 - 2000

  • Statistisches Bundesamt Deutschland (www.destatis.de)
    > Bevölkerung > Statistisches Jahrbuch 2001, Kostenlose Leseprobewähle: Bevölkerung

  • Statistisches Bundesamt Deutschland (www.destatis.de)
    > (unter Publikationen:) Online-Publikationen > (unter Umwelt:) Eckzahlen und Erläuterungen zur Flächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzung 2001 und 1997 > wähle [Download]


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