Zwischenbemerkung: Zuwanderung und Bevölkerungswachstum



Ohne im Geringsten Menschen diskreditieren zu wollen, die von legalen Zuzugsmöglichkeiten Gebrauch gemacht, ein Aufenthaltsrecht erworben haben und nun Bestandteil der Bevölkerung geworden sind wie die Alteingesessenen auch, bleibt nüchtern festzustellen: Rund 5,9 Millionen zusätzliche Menschen in Westdeutschland - in den 15 Jahren von (Ende) 1985 bis 2000 - entsprechen rein rechnerisch 59 Großstädten oder hunderten von Gemeinden durchschnittlicher Größe mit einer entsprechenden Inanspruchnahme von Flächen, Zunahme an Verkehr, Schadstoffemissionen, Abfall und so weiter.

Allein die Bevölkerungszunahme im Bundesland Nordrhein-Westfalen in dieser Zeit entspricht annähernd der gesamten Bevölkerung Estlands; dabei ist die Fläche von NRW kleiner als die des EU-Beitrittskandidaten. Kaum geringer und prozentual noch stärker war das Bevölkerungswachstum in Bayern und Baden-Württemberg, um nur die drei bevölkerungsreichsten Bundesländer zu nennen. Vgl. Tabelle Deutschland nach Ländern 1985, 1990, 1999, 2000. Und 2001 hat sich das Wachstum fortgesetzt.

Der längst verstorbene Herbert Gruhl - in früheren Jahren vorübergehend führendes Mitglied der Grünen - hatte stattdessen bereits Mitte der 80er Jahre dafür plädiert, natürlichen Bevölkerungsrückgang zuzulassen und gemeint: "Störungen des ökologischen Gleichgewichts und die Zerstörung natürlicher Lebensräume gehen mit der Bevölkerungsdichte Hand in Hand. Der positive Effekt einer Entlastung der Bevölkerungsdichte durch Verminderung der Geburten darf aber auch nicht durch Zuwanderung von außen wieder beseitigt werden" - ein Extremstandpunkt vielleicht, der auch keinen Anklang in der deutschen Politik gefunden hat, denn seit den Äußerungen Gruhls ist die Bevölkerung in (West-)Deutschland nicht nur nicht zurückgegangen, sondern wie ausgeführt noch um Millionen gewachsen, und der Höhepunkt der Entwicklung ist auch noch nicht erreicht.

Das hat jedoch Konsequenzen. Das Statistische Landesamt Baden-Württemberg beispielsweise meldet: "Seit der letzten Erhebung von 1997 sind - bei einem gleichzeitigen Bevölkerungswachstum von fast 150 000 oder 1,4 Prozent - danach weitere 17 500 ha (+3,9 Prozent) für Siedlungs- und Verkehrszwecke herangezogen worden. Die tägliche Flächeninanspruchnahme für Baumaßnahmen ... belief sich ... auf 12 ha." (Pressemitteilung vom 23.4.2002)

Und das Statistische Bundesamt teilt mit, dass die Siedlungs- und Verkehrsfläche in ganz Deutschland zwischen den Jahren 1997 und 2001 insgesamt um 1.887 km² oder um 129 ha pro Tag zugenommen hat (Pressemitteilung vom 29.04.2002). Somit wurden in Deutschland nach den Ergebnissen der Flächenerhebung 2001 (Stichtag 31.12.2000) im zurückliegenden Vierjahreszeitraum durchschnittlich 1,29 Quadratkilometer oder 1.290.000 Quadratmeter Landschaft in Wohn- und Gewerbegebiete und Verkehrsfläche umgewandelt - jeden Tag.

Auch wenn die horrende Inanspruchnahme von Flächen sicherlich nicht allein auf Zuwanderung zurückzuführen ist, wäre doch zu überlegen, ob man die Bevölkerungsdichte nicht wenigstens als ein Kriterium neben anderen im Zuwanderungsgesetz (Entwurf: Bundestagsdrucksache 14/7387, längere Übertragungszeit) berücksichtigen müsste. Etwa in Form einer Sollbestimmung, wonach zumindest eine weitere Zunahme der Gesamtbevölkerung vermieden oder vielleicht sogar ein begrenzter, kontrollierter Rückgang angestrebt werden sollte - im Interesse der Umwelt und der Lebensqualität aller Einwohner Deutschlands, die bisher legal zugewanderten ohne jegliche Diskriminierung eingeschlossen.

Die beiden Rechnungsvarianten in der 9. koordinierten "Bevölkerungsvorausberechnung" des Bundes und der Länder spielen ja im Grunde eine solche Entwicklung bei einer Netto-Zuwanderung von 100.000 bzw. 200.000 Personen pro Jahr durch.

Es ist mehr als verwunderlich, dass beim vielschichtigen Thema Einwanderung der naheliegendste Aspekt am wenigsten bedacht und diskutiert wird: die Relation zwischen der Größe der Bevölkerung und der vorhandenen Landesfläche. Der internationale Vergleich zeigt die hohe Bevölkerungsdichte Deutschlands (und einiger anderer europäischer Länder) in auffallendem Gegensatz zu den klassischen Einwanderungsländern.

"Zu wenig machen wir uns bewusst, dass auch die unbebaute Landschaft eine begrenzte Ressource ist." - "Gerade in einem dicht besiedelten Land wie Deutschland gilt es, den Boden ... als Lebensgrundlage und Lebensraum für Menschen, Tiere und Pflanzen ... zu erhalten. Es gibt kaum ein Handlungsfeld, bei dem das komplexe Gefüge von ökologischen, ökonomischen und sozialen Anforderungen so sichtbar wird wie im Bereich des Umgangs mit der begrenzten Ressource Boden ..." - "Nunmehr gilt es, in Deutschland insgesamt eine deutliche Verringerung der Flächeninanspruchnahme zu erreichen."

Diese Sätze stammen nicht von Gruhl, sondern von der (rot-grünen) Bundesregierung in: Perspektiven für Deutschland, Strategie für eine nachhaltige Entwicklung, S. 99, 287, 288).


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